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  • AutorenbildLouisa Schumacher

RAYE - My 21st Century Blues - Laut wenn andere leise sind

eine Albumreview von Louisa Schumacher

My 21st Century Blues ist inspirierend und empowering auf so vielen Ebenen. Die 25-jährige Sängerin und Songwriterin Rachel Agatha Keen steht für Power und nutzt ihre einzigartige Stimme ganz klar für Frauen in der Musikbrache. Mit ihrem ehemaligen Label Polydor Records rechnete RAYE dieses Jahr ab, nachdem sie sich als Künstlerin dort eingeschränkt fühlte. Als unabhängige Künstlerin hat sie nun endlich die Freiheit, nach der sie sich sehnte. Die Britin schafft es mit ihrem grandiosen Debüt mal eben direkt auf Platz 2 der UK iTunes Charts. Neben der Erfolgssingle Escapism warten noch viele weitere Überraschungen auf dem Album.

Die Musikerin schafft es durch extrem ehrliche Einblicke Themen in den Fokus zu rücken, über die sonst kaum offen gesprochen wird. Dieses Debüt nimmt uns mit auf eine Reise durch Ups and Downs von RAYEs Leben, wobei sie nie vergisst auch einen Funken Hoffnung zu verbreiten. An dieser Stelle möchte ich noch eine Triggerwarnung für die Themen Drogenabhängigkeit, Sucht, sexualisierte Gewalt und Körperwahrnehmung aussprechen.


Der Sound von Introduction. gibt uns das Gefühl in einem Blues Club zu sitzen. Ein Sprecher kündigt RAYE an und macht neugierig auf das, was in den nächsten Songs auf uns zukommt. Hintergrundgeräusche von klirrenden Gläsern und Stimmengewirr mit vereinzelten Instrumenten bringen eine Jazz-Atmosphäre mit sich.

Auf dem nächsten Song übernimmt sie selbst das Mikrofon, begrüßt das Publikum, und bittet um die volle Aufmerksamkeit, denn sie hat eine Geschichte zu erzählen. Oscar Winning Tears. scheinen viele Männer nach einer beendeten Beziehung mit RAYE geweint zu haben - von Mitleid keine Spur. Direkt beim ersten Song merkt man, dass Rachel Keen sich nicht die Show stehlen lässt. Gesanglich strahlt sie und zeigt von Rap bis Blues viele unterschiedliche Seiten. Es ist ein dramatischer Opener der definitiv Eindruck hinterlässt. Ein klares „Nein Danke”, denn RAYE konzentriert sich jetzt auf sich selbst.

Hard Out Here. beschreibt ihre enttäuschenden Erfahrungen als Frau in der Musikbranche. RAYEs ehemaliges Label gab ihr kaum Freiheiten. Von vier versprochenen Alben durfte sie kein einziges releasen. „All the white men CEOs, F*ck your privilege. Get your pink chubby hands off my mouth, who you think this is? I told my lawyer stand by (War), there is no wrath like a woman scorned.” Die Sängerin lässt sich nicht unterkriegen und ermutigt andere in einer ähnlichen Situation auch für sich selbst einzustehen.


In Black Mascara. hören wir House-Einflüsse und eine ganz andere Seite von RAYE. Der Upbeat-Dance-Track ist nicht annährend so glücklich wie er scheint, wenn man hinter die Kulisse blickt und ihr als Storytellerin zuhört. „Look what you’ve done to me’’ ein Satz der sich nach einmaligem Hören schon in den Kopf setzt. RAYE verarbeitet eine Erfahrung mit K.O.-Tropfen. Sie schweigt nicht mehr und entschloss sich von ihren dunkelsten Momenten zu erzählen. In einer Form, die ihren Schmerz verarbeitet, für Aufruhe sorgt, nach Gerechtigkeit fordert, und anderen Betroffenen Trost spendet.

Escapism. baut weiter auf den Erfahrungen dieser dunklen Zeit auf. RAYE hatte genug von gebrochenen Herzen und Problemen, steigert sich hinein in Partys, Drogen und allem, was den Kopf frei macht. Um die Geschichte ihrer Flucht vor der Wirklichkeit zu erzählen, holt sie sich Unterstützung von Sängerin 070 Shake und landete direkt einen Nummer 1 Hit. Manchmal wirkt es einfacher den Sorgen zu entfliehen, aber welche Folgen das für RAYE unter anderem hatte beschreibt der nächste Song. In Mary Jane. schreibt sie eine Art Liebesbrief, in dem sie sich an Ihre Sucht wendet. Von solchen Themen wurde ihr beim Songwriting sonst strikt abgeraten. Es könnte ja dem Ruf schaden... Ehrlich und sensibel, so will sich RAYE aber auf diesem hypnotisierenden Song zeigen. Genau diese Aufgeschlossenheit ist das, was wir mehr in der Musikbranche brauchen, um Awareness auch für tabuisierte Themen zu schaffen. Die Künstlerin ist auf einer Mission Blues wieder aufleben zu lassen. The Thrill Is Gone. ist ein catchy Track, mit dem Sie definitiv geschafft hat, dem Ziel einen großen Schritt näher zu kommen. Es war eine der ersten Singles vom Album und handelt von einer verlorenen Beziehung, wo der Funke einfach nicht mehr da ist.

Ice Cream Man. ist einer der emotionalsten Tracks auf dem Album. Hier wird es plötzlich leiser, sehr persönlich und verletzlich, wenn RAYE von Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt berichtet. Die Strophen erzählen mit zerbrechlicher Stimme von ihren innersten Gedanken und dem Versuch zu verarbeiten, was ihr geschah. Im Refrain schafft die Sängerin es durch ihre unglaublichen Vocals den Mitbetroffenen Trost und Kraft zu schenken. „Cause I’m a woman. I’m a very fucking brave strong woman. And I’ll be damned if I let a man ruin. How I walk, how I talk how I do it.” Minimalistische Instrumentals geben Raum für ihre Geschichte und schaffen einen sehr besonderen Gänsehaut-Moment.


Flip A Switch. hat einen Hip-Hop Rhythmus, den man direkt fühlt, die Confidence geht durch den Lautsprecher direkt auf jede:n im Raum über. „Fuck looking for love. I’ma stay doing what us bitches do best.” RAYE ist nicht mehr auf der Suche nach einer Beziehung, der Song klingt nach guter Laune und Freiheit. Die Rap-Parts kombiniert mit dem eingängigen Refrain erschaffen einen potenziellen RAYE-Classic vom neuen Album. Tiefgründiger wird es wieder in Body Dysmorphia. Die Stimme in den Strophen ist verzerrt, eine Metapher für das komplizierte Verhältnis mit Selbstliebe und Selbstwahrnehmung, was Personen, die unter der körperdysmorphen Störung leiden, erleben. Jede Zeile im Text lässt uns näher an RAYEs Unsicherheiten und schmerzhaften Gedankengänge heran. Das Outro des Songs wird von einem jungen Mädchen gesprochen. „I hope I’ll be pretty when I grow up or I think I’ll be sad.” Immer jünger setzen wir uns mit Schönheitsidealen und unrealistischen Normen in der Gesellschaft auseinander. RAYE hat lange einen Kampf allein in ihrem Kopf ausgetragen. Sie nutzt diesen Song, um zu zeigen, dass es wichtig ist sich Hilfe zu suchen und anderen von Problem zu erzählen.

Genauso unberechenbar und weird wie unser Planet gerade ist sind auch die Sounds in Environmental Anxiety.. Während Sirenen, Kirchenglocken und Nachrichtentöne chaotisch den Song begleiten zählt die Sängerin wirr auf was sie tagtäglich beschäftigt und ärgert. „Classist, sexist,racist, ableist, fascist, ageist, homophobic. Country leaders fucked our futures and they think we haven’t noticed.” Der wohl einzige Track bei dem RAYE keine hoffnungsvolle Zeile parat hat... R’n’B Kollegin Mahalia ist auf Five Star Hotels. gefeatured und die Britinnen liefern das perfekte Lied, um sich abends mit seinen Freund:innen fertig zu machen, um feiern zu gehen. RAYE selbst nannte es einen Track für lange Nächte der für Selbstliebe steht. Es schreit nach einem weiteren RAYE-Classic der einfach on-repeat laufen kann.

Das Album naht dem Ende und es ist Hoffnung in Sicht. Worth It. oder doch eher nicht? Diese Frage stellt man sich bei einem Date bestenfalls gar nicht erst. Aber wer weiß das schon im Voraus. In „Worth It." zeigt Rachel Keen endlich eine positive Aussicht auf Liebe in einem Pop Song, der die Leichtigkeit einer guten Zeit einfängt.

Ihre verzaubernde Stimme und die Gospelchor Elemente verbreiten auf Buss It Down. gute Vibes. Es wäre halt nicht RAYE, würde die emotionale Achterbahnfahrt ihres Albums nicht auf einem Hoch enden. Sie ist happy den support ihrer Mädels zu haben und priorisiert neben ihrer Karriere und Zeit für sich selbst einfach Spaß zu haben. Die Reflektion einer wahnsinnig starken Frau, die sich nicht unterkriegen lässt und endlich als Sängerin durchstartet. Fin. ist eine emotionale Danksagung an alle die an RAYE geglaubt haben und sie auf ihrem Weg unterstützen. Stolz beendet sie das Album, was nun endlich mit der Welt geteilt werden kann. „I've waited seven years for this moment. Finally, My 21st Century Blues is now ours, forever.”


Alle Hürden die RAYE in der Musikbranche überwinden musste konnten ihrer Leidenschaft für die Musik nicht stoppen. Wie es in Hard Out Here. so schön heißt: „Baby I bounce back. No weapon formed against me shall ever prosper.” Die junge Britin ist ein inspirierendes Vorbild, besonders für unterdrückte Personen in der Musikwelt, um ihnen Mut zu machen laut zu sein. Es ist ein facettenreiches Debüt, welches durch Verletzlichkeit so unfassbar stark ist.

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