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  • AutorenbildClara Wiegand

Nina Chuba - Glas

2022 war das Jahr in dem der Name Nina Chuba an niemandem vorbeigegangen ist. Nun erschien am 24. Februar 2023 ihr lang ersehntes Debütalbum „Glas“.

„Ich will Immos, ich will Dollars, ich will fliegen wie bei Marvel/ Ich hab‘ Hunger, also nehm ich mir alles vom Buffet/Will ein Haus für meine Mama an der Küste von Catania/ Zum Frühstück Canapés und ein Wildberry-Lillet“


Mit dieser Hook katapultierte Nina Chuba sich im August 2022 für vier Wochen auf Platz 1 in die deutschen Charts und ist dort seitdem nicht mehr wegzudenken. Selten konnte in der Vergangenheit ein so exponentielles Wachstum an Popularität beobachtet werden wie bei Nina. Vor Kurzem sang die 24-Jährige noch auf Englisch. Jetzt macht sie der überwiegend männlichen Besetzung in den deutschen Charts ordentlich Konkurrenz.


Dass das Hitpotential von „Wildberry Lillet“ keine Ausnahmeerscheinung ist, zeigt Nina auf ihrem Debütalbum „Glas“. Mit sage und schreibe 18 Tracks und einer durchschnittlichen Länge von 2:42 Minuten pro Lied, beweist die Künstlerin ein weiteres Mal, dass sie das Erfolgsrezept für Hits hat. Es ist kein Geheimnis, dass sie dafür ein Team aus Texter*innen und Produzent*innen hat, die ihr den Rücken stärken. Vielmehr würdigt Nina diese Hilfe wiederholt in Textzeilen und macht damit sichtbar, was in der Musikwelt gang und gebe ist und definitiv kein Tabu-Thema mehr sein sollte.


Mit „Glas“ gelingt Nina und ihrer Crew die Produktion eines astreinen Sommer-Albums. Die Beats sind tanzbar, die Melodien einprägsam und die Lyrics laden förmlich zum Mitsingen ein. Gekonnt schreiben sie Reggae-, Afrobeat- und Dancehall-Elemente in einen modernen Pop-Sound ein und schaffen damit einen deutlichen Wiedererkennungswert in dem sonst eher eintönigen Sound-Konsens der deutschen Charts.

Auch bietet „Glas“, ganz wie es sich für ein Debütalbum gehört, die Möglichkeit Nina Chuba in all ihren Facetten kennenzulernen. Es wird schnell klar, dass es Nina nicht darum geht, gezwungen glücklich zu wirken. Ganz im Gegenteil, viele Songtexte zeugen von einer Selbstreflektion und Umsicht, nach der man bei anderen Menschen in ihrem Alter vergeblich suchen muss. Dieses Fingerspitzengefühl widerspiegelt sich auch in der Titelwahl „Glas“. Das Element Glas ist nicht nur titelgebend für das Album, sondern auch thematisch Programm. Sowohl Ninas starke und schillernde Persönlichkeit als auch ihre transparente und zerbrechliche Seite kommen zum Vorschein. Die Frage „Wer bin ich?“ resoniert aus ihren Lyrics und das Gefühl verloren zu sein, schwingt an vielen Stellen mit.

Außerdem zeigt die Sängerin auf „Glas“, dass sie nicht nur eine 1A Soloperformerin, sondern auch eine vielseitige und anpassungsfähige Gastgeberein für diverse Künstler ist. Von MAJAN über Vincent, den Frontsänger von Provinz zu Chapo102 von den 102 Boyz. Ihre Features sind die Kirsche auf der Album-Torte. In die Songs fließen stilistische Elemente beider Parteien ein, und das Endergebnis lässt sich dementsprechend sehen. „Mondlicht“, „Ich glaub ich will heut nicht mehr gehen“ und „Ich hass dich“ fungieren wie Eckpfeiler auf dem Album, die einen Vorgeschmack darauf geben, wozu Nina Chuba musikalisch noch in der Lage ist.


„Schmeiß' weg, was ich nicht mehr brauch'/Highspeed, keiner hält mich auf/Gib mir ein'n Song und mach laut/ Bin ausgeschlafen und bestens gelaunt“


„Mangos mit Chili“ steht in der Tracklist an erster Stelle und eröffnet „Glas“ mit unglaublicher musikalischer Energie. Der Song macht mit dem gekonnt von Bläsern unterlegten Soundarrangement und seiner Blick-nach-vorne-Attitude Lust auf mehr und stimmt damit erfolgreich das Album ein.

Nach dem Kassenschlager „Wildberry Lillet“ schlägt Nina wiederum nachdenklichere Töne an. „Alte Bilder“ beschäftigt sich mit dem Umstand, dass einem die Schönheit eines Moments erst in der Retrospektive bewusst wird. Der melancholische Unterton wird getragen von einem Beat mit Reggae-Einflüssen. Das Tempo dieses zuerst zurückhaltenden Beats erhöht sich dann von der Pre-Hook in die Hook. Ein Kunstgriff, der von einem feinen Gespür dafür zeugt, was die Spannungskurve eines Songs oben hält.

Das Duo „Fieber“ und „Glatteis“, welches bereits vor Album-Release gemeinsam veröffentlicht wurde, sticht in seiner Komposition aus der Konvergenz des Albums hervor. Der Erzählbogen ist an einem Punkt angelangt, welcher den sonst eher sonnigen Vibes des Albums deutlich in Kühle und dystopischer Stimmung entgegentritt. „Fieber“ handelt von dem schmalen Grat zwischen Liebe und Fiebertraum. Er ist mit seinen beklemmenden Hintergrundgeräuschen der experimentellste Song auf dem Album.

„Glatteis“ baut sich langsam auf und zieht einen förmlich in den Bann. Zaghaft ertönt Ninas Stimme. Sie beschreibt, wie sie sich für eine Person ein letztes Mal aufs Glatteis wagt und dabei alles auf Spiel setzt. Begleitet wird sie von vorsichtigen Klängen, die sich wie bei einem Crescendo aufbauen und mit gebündelter Energie in dem wohl bemerkenswertesten Beat-drop des Albums aufgehen. Es ist der Moment, in dem Nina der Katastrophe direkt ins Auge blickt, das Gaspedal nochmal voll durchdrückt und ins Desaster schlittert.


„Mit zweihundert km/h/Glatteis, Autobahn/Ist mir alles scheißegal/Nur dieses eine letzte Mal“


Mit dem autotune-lastigen „Sakura“ endet diese Endzeitstimmung. Fans von Kitschkrieg und Trettmann werden hier wohl ein Feature vermissen. „Sakura“, was japanisch für Kirschblüte ist, erinnert an Frühling und Neuanfänge und hätte an keiner anderen Stelle besser platziert werden können. Vom Frisch-verliebt-Sein handelt der Song, und davon, auf einer Wolke von Endorphinen zu schweben. Der dominante Beat harmoniert mit den Streichern im Hintergrund und das Autotune auf Ninas Stimme lässt das Ganze surreal erscheinen. Irgendwie zu gut, um wahr zu sein. Alles erstrahlt in rosa, aber das ist vielleicht auch der rosaroten Brille geschuldet, die Nina immer wieder aufsetzt.

Mit „Ich glaub ich will heut nicht mehr gehen“ liefert Nina einen erstklassigen, mit modernisierten Reggae-Elementen durchtränkten Track, der konträr zu seinem Titel förmlich zum Tanzen einlädt. Das bereits durch „Zorn & Liebe“ bekannte Feature beweist hier aufs Neue eine Kompatibilität, die Herzen höher schlagen lässt. Die raue Stimme des Provinz-Frontsängers Vincent harmoniert mit Nina Chubas besonderer Stimmfarbe über die Erzählung einer Beziehung, die makelloser nicht sein könnte. In der Zweisamkeit mit einer Person ein Zuhause zu haben, ist wohl der Inbegriff einer Bilderbuch-Beziehung.


„Ich les' dir von den Lippen ab, weil du nur gute Seiten hast/Sitz' auf deiner Fensterbank und strahl' heut alle Sterne an/Ich glaub' an mich, glaub' an dich/Eigentlich nur wir, ansonsten brauch' ich nichts, brauch' nur dich“


Wenn bis zu diesem Zeitpunkt im Album noch nicht klar geworden ist, dass Nina ihr eigenes Ding durchzieht, dann wird es das spätestens mit „Solo“. Die Inspiration an Rosalías empowerndem Sound kommt hier deutlich zum Vorschein und die Fuck-it Attitude steht Nina gut. Der Latino-Pop-Beat hat das Potential sogar bei Tanzmuffeln den Drang zu erwecken, die Hüften im Takt der Musik zu schwingen.


„Glas“ teilt sich den Titel mit dem Album und beweist, dass sich zwischen beat-getränkten Tracks auch eine Ballade einbauen lässt. Nina erzählt von dem Versuch, das innere Loch durch eine Person zu füllen und im Prozess immer wieder daran zu zerbrechen. Für den Rest des Albums ganz untypisch begleiten zurückhaltende Klaviertöne die Worte und laden dazu ein, in Wehmut und Herzschmerz zu versinken.


„Gib mir’n Teil von dir ab/Oder alles, was du hast/Und ich mach‘ mich wieder ganz“


„Ich hass dich“ legt auf dem Wutbarometer einen Zahn zu. Zusammen mit Chapo102 lässt Nina den Unmut gegenüber dem Prototyp-Mensch mit makellosem Leben und makelloseren Zähnen heraus. Die Hook eignet sich in ihrer Banalität gut zum Mitbrüllen und Dampf ablassen. Ein befreiendes Gefühl ist garantiert.

„Alles Gleich“ beendet das Album auf ganz ehrliche und tiefsinnige Art und Weise. Es ist Ninas autobiographisch-behafteter Rückblick auf ihren Erfolg, der bittersüß nachklingt und über die Grenzen des Albums hinweg zum Nachdenken anregt. Der Durchbruch, den sie sich so lange gewünscht hat und der so lebensverändernd schien, hat sich als Trugschluss entpuppt. Die Sorgen und Probleme, die in ihrer Fantasie durch den Erfolg verschwinden würden, haben ihren Schwerpunkt nur verlagert. Resigniert konstatiert Nina in der Hook: „Am Ende bleibt das alles gleich/Früher in der U-Bahn/Heute im Uber geweint“


Mit „Glas“ setzt Nina Chuba den Standard für Debütalben hoch. Sie weiß, wie man im 21. Jahrhundert Hits schreibt und sich dabei durch Individualität und Kreativität von der Masse abhebt. Ninas Sound ist lukrativ und tanzbar, aber trotzdem nicht forciert glücklich. Sie erzählt ihre Geschichte, die zeigt, wie das Leben manchmal spielt und dass sich schöne Momente mit traurigen abwechseln. „Glas“ widerspiegelt dieses Wechselbad der Gefühle zwischen euphorischem Leben-Genießen und melancholischem In-die-Vergangenheit-Schauen. Eine Vergangenheit, in der alles noch so viel einfacher schien. Nina ist damit die Stimme einer Generation, welche geprägt von Lockdowns und Weltuntergangsstimmung in den Nachrichten irgendwie versucht, positiv in die ungewisse Zukunft zu blicken und die sogenannten „besten Jahre“ des Lebens, zu genießen. Diesen Prozess des Erwachsenwerdens verarbeitet Nina Chuba auf „Glas“ zu einem Konglomerat aus vielschichtigen Songtexten und eingängigen Melodien und trifft damit genau den Puls der Zeit.

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