CL ist schon seit über zehn Jahren als Rapperin und Sängerin aktiv. Nach sieben Jahren in der K-Pop Band 2NE1 und vereinzelten Solo-Singles und EPs ist diese Woche endlich ihr erstes Album erschienen. Das Ergebnis ist beeindruckend und hat für mich persönlich auch eine besondere Bedeutung, denn ohne CL wäre ich wahrscheinlich ein ganz anderer Mensch geworden.
Photo credit: @chaelincl
"Was ist denn zwei-ne-eins?", habe ich, inzwischen auch schon vor gut zehn Jahren, eine Freundin von mir gefragt. '2NE1' hatte sie mit einem Filzstift auf ihren Spiegel geschrieben. "Das heißt Two-Any-One", korrigierte sie mich, "Das ist eine koreanische Girlgroup. Warte, ich zeig dir was von denen." Farbenfrohe Kulissen, eigenartige Frisuren, lauter Gute-Laune-Pop und, was mich am meisten faszinierte, anspruchsvolle Choreographie. Dass das Ganze auf einer anderen Sprache war, war für mich nicht befremdlich; Englisch war mir schließlich auch mal fremd gewesen und außerdem hatte mir dieselbe Freundin schon die schräge Welt von Manga und Anime vorgestellt.
Die Freundschaft verlief sich, so auch mein Interesse an 2NE1 und der einzigen anderen K-pop Band, die ich zu dem Zeitpunkt kannte, Big Bang. Um 2011 herum wurde in der Szene für meinen Geschmack einfach zu viel Autotune als Stilmittel genutzt. Als ich einige Monate später aber meinen Deep Dive in die K-pop Industrie (und später Musikindustrie als Ganzes) beginnen sollte, freute ich mich immer wieder besonders, etwas Neues von 2NE1 zu sehen. Eine Art Treuebonus zusätzlich zu den, meiner Meinung nach, sehr guten Tracks I Love You und Come Back Home, um nur zwei von vielen zu nennen. Aufgrund des internationalen Erfolgs von I Am The Best (내가 제일 잘 나가) und des damals noch wenig repräsentierten Konzepts starker, cooler, selbstbewusster Frauen unter vorrangig bubblegum-poppigen K-Pop Girlgroups hatten 2NE1 schon nach wenigen Jahren Legendenstatus in der Szene. Mit einem dementsprechenden Erfolg und der zugehörigen Attitude veröffentlichte CL 2013 ihre erste Solosingle The Baddest Female (나쁜 기집애), oder, etwas freier übersetzt, Bad Bitch.
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Im Folgejahr begann sie an einer Karriere in den USA zu arbeiten und wurde dabei von Scooter Braun gemanagt, der einst Justin Bieber mit berühmt machte. 2NE1 pausierte, angeblich vorübergehend, als Band. 2015 erschien CL als Feature auf dem Diplo Song Doctor Pepper und veröffentliche die Single Hello Bitches. Im Musikvideo neben ihr zu sehen ist die ReQuest Dance Crew um die Choreografin Parris Goebel, zu diesem Zeitpunkt auf dem Höhepunkt ihrer kommerziellen Beliebtheit. 2016 erschien die englischsprachige Single Lifted mit einem ganz anderen Sound: zu simpel, zu laid-back, zu amerikanisch? In den USA schaffte sie es damit trotzdem als erste weibliche südkoreanische Solokünstlerin in die Billboard Top 100. Die geplante EP um den Track wurde aber gescrapped. Im November desselben Jahres sollten sich 2NE1 endgültig auflösen. Um CL wurde es ruhig, bis sie 2018, wie aus dem Nichts, bei der Schlusszeremonie der Olympischen Winterspiele in Pyeongchang auftrat mit ihrem altbewährt majestätisch-selbstbewussten Konzept.
„This is for all my bad girls around the world. Not bad meaning bad, but bad meaning good, you know”
2019 erschien die EP In the Name of Love, die erste EP, nachdem sie ihr bisheriges Management YG Entertainment verlassen hatte. Jedoch erhielt diese wenig Aufmerksamkeit. CL gründete darauf ihr eigenes Label: Very Cherry. Die beiden Tracks, die sie im vergangenen Jahr veröffentlichte, HWA und 5 Star, zeigten, dass sie mit ihrem Team die richtigen Voraussetzungen für ein neues Aufleben ihrer Karriere geschaffen hat.
Das am 20. Oktober erschienene Album ALPHA ist bestimmt, cool und verspielt. Mal Synth-Pop, mal Hiphop, mal Pop-RnB, findet sie eine bisher kaum erreichte Balance zwischen Trends in der südkoreanischen, wie amerikanischen Musiklandschaft. Auf dem Album klingt CLs Stimme facettenreich wie nie zuvor. Unter YG Entertainment, was sehr auf ‚besondere‘ Stimmfärbungen setzt für einen höheren Wiedererkennungswert, ist CLs jahrelanges Training und ihre Erfahrung nie in so vielen verschiedenen Tönen zur Geltung gekommen. Verantwortlich dafür sind auch die vielen erfolgreichen Produzent:innen und Songwriter:innen, die CL zusammengebracht hat und deren Namen Musiknerds geläufig sein könnten - eine kleine Auswahl: Rogét Chahayed, Rahki, Baauer, Jean-Baptiste Kouame, Freedo, Kimbra, die Sängerin Anne-Marie und, aus der koreanischen Musikwelt, Tablo und Sokodomo.
Der erste Titel SPICY beginnt mit einem spoken-word Intro des Schauspielers John Malkovich. Der Track und das Musikvideo erinnern an Hello Bitches. Ein Alternativtitel für die damalige Single lautete 'Asian Bitches', wurde aber geändert, um ein breiteres Publikum anzusprechen. In SPICY heißt es jetzt: "You rocking with the most fly Asians". Eine Ansage gegen die Amerikanisierung, die zwischenzeitlich in CLs Musik zu beobachten war? Bereits in HWA hatte sich CL auf ihren koreanischen Hintergrund zurückberufen, das international durch die Serie Squid Game bekannt gewordene Lied zum Spiel Red Light – Green Light "무궁화 꽃이 피었습니다" in der Hook genutzt. Und auch My Way sampled traditionell koreanische Instrumente. Der leichtfüßige Let It war ursprünglich für 2NE1, also den südkoreanischen Markt gedacht und die Adlibs im letzten Refrain scheinen auch von CLs ehemaliger Bandkollegin Park Bom aufgenommen zu sein.
In der südkoreanischen Musikszene fällt eine Mischung aus koranischen und englischen Texten leider oft negativ auf und wirkt meist gezwungen und schwerfällig. CL kreiert dagegen einen fließenden Übergang, der den Flow unterstützt und die Grenzen zwischen den Sprachen verschwimmen lässt. Lover Like Me und Xai bewegen sich jeweils fast nur innerhalb einer Sprache. Lover Like Me wechselt erst in der Bridge für den Rap ins Koreanische, während der größtenteils koreanische Xai sich pointiert des Englischen bedient, um gewisse Formulierungen eleganter zu machen.
In Paradise, Chuck und My Way überwiegt musikalisch kraftvoller Hiphop. Auch auf den verletzlicheren Tracks Lover Like Me und Siren, sowie dem sinnlichen Xai ist CL aber weiterhin fordernd und cool. Am unbeschwertesten klingen 5 Star, ein feel-good Lovesong und der bereits angesprochene Let It mit seiner laissez-faire Message.
Mit der zum Albumrelease veröffentlichten Dance-Pop Single Tie a Cherry liefert CL wieder einen catchy Selbstliebe-Song. Das Musikvideo zeigt ein beeindruckendes Bild nach dem anderen. High-Fashion Looks, talentierte Tänzer, Attitude - das volle Programm, und dabei doch recht simpel gehalten für CLs Verhältnisse.
Dieses Album beweist: "CL is the alpha". Ihre ganze harte Arbeit, ihre Connections und ihr Talent sind auf dieser Platte zu finden. Mit Recht kann man behaupten, dass sie wieder da ist, um die Krone als Queen of Kpop weiterzutragen und selbstbewusst Stereotypen zu durchbrechen.
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