ein persönlicher Konzerbericht von Selli Hahn
Ich laufe seit Monaten durch die Stadt, das Wetter veränderte sich und die Menschen haben angefangen, andere Kleidung zu tragen. Eine Sache blieb allerdings über Monate gleich. Die Konzertplakate in Rot und Lila, auf denen ganz groß und in wunderschöner Schrift „The Future is“ zu lesen war. Ein Festival, welches im E-Werk in Erlangen am 04.11. stattfinden sollte. Seitdem ich das Line Up und das Konzept des Festivals zum ersten Mal gelesen habe, war ich quasi schockverliebt.
Kat Frankie, Paula Hartmann, My Ugly Clementine, Novaa und Girlwoman nur Flinta Persönlichkeiten auf der Bühne und auch noch alle an einem Abend in der tristesten Zeit des Jahres – was kann man sich mehr wünschen? Nach der Ankündigung des Festivals hab ich erstmal allen meinen Freunden davon erzählt, relativ schnell haben sich einige gefunden und zack wurden die Tickets schneller bestellt, als man sich vorstellen kann.
Anfang November war es dann endlich soweit. Der Tag des Festivals war gekommen und die ganze Woche über habe ich mich so unfassbar auf diesen Abend gefreut. Vorher haben wir wild darüber spekuliert, wie viel wirklich los sein wird. Wie viele Leute kann man mit solch einem Line Up, in den schweren Zeiten der Veranstaltungsbranche, begeistern? Die Schätzungen reichten von 200 bis 600 Leuten. Als wir am E-Werk ankamen, waren wir dann doch etwas überrascht über die Schlange, auf die wir dort trafen. Klar war aber sofort, junges Publikum und sehr gemischt. Vor uns direkt jemand mit Merch von Paula Hartmann und viele strahlende Gesichter.
Nachdem das Publikum so langsam näher zusammenrückte und jede:r ein Getränk in der Hand hatte, eröffnete Girlwoman den Abend. Die Künstlerin war mir bis zu dem Zeitpunkt mehr oder weniger unbekannt. Sie überraschte mit einem ungewohnt düsteren Set und immer wieder gesprochenen Elementen während ihrer Songs. Die Beats und Synthies waren irgendwas zwischen schnell und tanzbar, ruhig und zum Träumen. Vor allem schaffte Girlwoman es aber konstant einen mystischen Vibe in ihrem Set zu behalten, der alle in ihren Bann zog.
Nach dem Auftritt folgte die Künstlerin Novaa. Sie ist eine der Künstler:innen, die wirklich schon sehr lange auf meiner want-to-see-live Liste steht. Wir dachten zuerst, dass sie mit Sicherheit ein Solo Set spielen würde. Hingegen unserer Erwartungen kam allerdings ein Drummer mit auf die Bühne, der sie die ganze Show über unterstützte.
Novaa brachte genau das mit, was ich immer dachte, was sie an sich hat. Dieses charismatische etwas. Sie stellte am Anfang die Frage, ob jemand im Raum nur Englisch sprechen würde. Daraufhin meldete sich eine Person und Novaa beschloss das ganze Konzert über in der Interaktion mit dem Publikum nur Englisch zu sprechen, um alle zu inkludieren und abzuholen. Sie betonte mehrmals, wie aufgeregt sie sei mal wieder live spielen zu dürfen. Umso überraschter und glücklicher war sie, als sie gesehen hat, dass Menschen im Publikum ihre Texte und Songs kennen. Ehrlich gesagt alle, die sie nicht kannten, waren danach Fans, da bin ich mir sicher.
Von ihr hab ich nach dem Konzert auch die allermeisten Stories bei Instagram gesehen und das zurecht. Ihr Auftritt war grandios. Ihre Worte verletzlich und ehrlich. Vom Beenden einer Beziehung, obwohl man geliebt wird bis hin zur Selbstbefriedigung, die völlig normal sein sollte in unserer Gesellschaft. Novaa brachte jedes Thema, welches sie angefangen hatte, perfekt auf den Punkt - „She’s a star“ (Titel ihres letzten Albums) und mehr kann ich dazu eigentlich auch nicht sagen.
Der Platz im Publikum wurde von Minute zu Minute immer weniger. Die Letzten drängten sich noch kurz vor Showbeginn nach vorne und ernten damit natürlich keine positiven Vibes in ihrem Umfeld, das war aber kurz darauf vergeben und vergessen.
Nächster Act: Paula Hartmann. Einer der hellsten Sterne, die es wohl grade im deutschsprachigen Raum gibt, ist wohl Paula. Ab Sekunde eins in der ich die Venue betreten hatte, wusste ich schon, dass die meisten Leute für sie hier waren. Friso, Paulas bester Freund und DJ, betrat die Bühne und allen Menschen im Raum war das Lächeln im Gesicht nicht mehr zu nehmen. Als ihr Track „Seidenkleid“ als Intro anlief, kamen die ersten überglücklichen Schreie im Raum auf. Paula trifft mit ihrer Musik genau den Zahn der Zeit und holt damit eine ganze Generation ab. Ihre Shows sind einzigartig und emotional. Egal welche Stadt das Publikum kann von vorne bis hinten jeden einzelnen Textteil mitsingen und vor allem schreien. Irgendwo zwischen Uppern und Downern, einem babyblauen Cabrio und dem nie Verliebtsein, kam Fridl Achten auf die Bühne, um an Paulas Bühnentradition teilzunehmen. Bei ihren Gigs hat sie immer eine Flasche Himbeertoni im Gepäck, der standardmäßig mit den Zuhörer:innen, zum Anstoßen geteilt wird. Und herzlichen Glückwunsch ans Erlanger Publikum, die Flasche war wohl so leer wie noch bei keinem der Konzerte vorher. Sowohl vom Himbeerschnaps als auch von Paulas Songs konnten alle gar nicht genug haben. Ganze zwei Mal schrie die Masse an Menschen nach einer Zugabe von der jungen Wahlhamburgerin. Und was macht man, wenn man alle veröffentlichten Songs schon einmal gespielt hat? Richtig nochmal spielen! Paulas Songs schreien nach Träumen, Aufbruch, ehrlichen Emotionen und mit Kugeln im Lauf auch nach Wut. Egal wie sie es macht, sie schafft es, alle zu erreichen und aus nie verliebt wird wohl verliebt in diesen Auftritt.
Kurze Zeit hab ich gedacht, dass die Stimmung jetzt wohl ihren Höhepunkt erreicht hatte, da nach Paulas Auftritt leider einige Leute nach Hause gegangen sind. Allerdings hat My Ugly Clementine komplett vom Gegenteil überzeugt. Angefangen mit ihrem Song „Playground“ und den Worten „Just because I have smaller hands, doesn’t mean I can’t do what my male friends can“ und dem sehr rockigen und bassgeprägtem Song, haben sie gleich mal klar gemacht, wie sie sich in der Musikszene präsentieren und wofür sie stehen – nämlich Gleichberechtigung und Selbstbestimmung. Die Band aus Wien hat den Abend so richtig tanzbar gestaltet und nochmal ganz klar gemacht, dass FLINTAs eben natürlich auch eine coole funkige Rockband sein können. Bei den Bühneneinlagen waren von Headbangs über am Boden mit der Gitarre liegen, alles dabei. Die Zuhörer:innenschaft war auch hellauf begeistert von der sehr energiegeladenen Show und dem extrem coolen Auftritt, den die sie da hingelegt haben. Spätestens bei dem Cover des Songs „Unwritten“ von Natasha Bedingfield war dann auch allen nach Mitsingen zumute. Die Interpretation des Songs könnt und solltet ihr euch unbedingt bei einem beliebigen Streamingdienst anhören – die ist grandios, fesselnd und sorgt für gute Laune!
Neben der sehr hohen musikalischen Leistung sollte man unbedingt auf die Texte hören und achten. Ihr bislang einziges Album „Vitamin C“, was sie fast komplett durchgespielt haben, ist von vorne bis hinten gut durchdacht und mit Wortspielen an die immer noch sehr männliche dominierte Musikszene untermalt. Die Band ist zwar lange kein Geheimtipp mehr, aber jede:r die:der sie noch nicht kennt oder nur mal reingehört hat, sollte sich das nochmal anhören oder einfach eine der Liveshows ansehen. Spätestens da wird man abgeholt – versprochen! Einer meiner Freunde hatte mir vorher noch gesagt, dass er die Band echt nicht so gut findet und war nach dem Set hellauf begeistert. Approved also.
Gefühlt hätte der Abend noch ewig weitergehen können und man hätte noch so viele andere unglaubliche Künstlerinnen auf die Bühne stellen können. Allerdings ist eben auch so ein schönes Festival zeitlich begrenzt und die letzten Bahnen in die Nachbarstädte fahren auch nicht ewig lange. Das hat Kat Frankie bei ihrem Auftritt am Ende leider auch zu spüren bekommen. Allerdings hat sie das absolut nicht davon abgehalten, ein Set mit unfassbarer Tiefe zu spielen. Sie war, neben My Ugly Clementine, die Einzige, die eine komplette Liveband im Gepäck hatte. Und ich finde, man kann das mal so sagen, die Liveband war der Wahnsinn. Alle hatten so unfassbar Lust auf diesen Auftritt und man hat ihnen richtig die Freude im Gesicht angesehen. Kat Frankie ist eine Künstlerin, welche inzwischen wirklich lange im Musikbusiness ist und sich dennoch stetig weiterentwickelt. Das letzte Mal, als ich sie live gesehen hatte, war irgendwann vor der Pandemie bei einem Festival und der Vibe war ein ganz anderer. Ich hatte das Gefühl, sie war sich inzwischen noch viel sicherer geworden, wer sie ist und was sie auf der Bühne rüberbringen will. Sie strahlte eine Ruhe und Geborgenheit aus, die man den ganzen Abend so noch nicht spüren konnte. Ihre Stimmfarbe ist ganz besonders und der halbe Raum hatte mindestens einmal während der Show Gänsehaut. Kat Frankie erzählte außerdem zu fast jedem ihrer Songs die Intension oder die dazugehörige Geschichte, was der ganzen Show noch einmal einen intimeren Vibe gab.
Die Frage, die ich mir den ganzen Abend gestellt habe, war: The future is…? Ein paar Tage später schreibe ich diesen Artikel und kann mir die Frage immer noch nicht zu 100 % beantworten. Das Festival hat beabsichtigt nicht den Namen The Future is female bekommen. Es hatte dennoch seinen Grund, weshalb nur FLINTAs aufgetreten sind. Bis heute sind FLINTA Personen in der Musikszene immer noch unterrepräsentiert und haben es schwerer, sich ein festes Standbein aufzubauen. Das Festival war dafür da, um Bewusstsein in den Köpfen der Menschen zu schaffen und den Künstlerinnen eine Bühne zu geben. Der Wunsch geht natürlich dahin, dass es irgendwann der Standard ist und kein Geschlecht benachteiligt wird, weder bei der Auswahl eines Festival Line-ups, noch im normalen Leben. Bis dahin müssen wir den Weg zusammen gehen und versuchen, mehr Transparenz und Sichtbarkeit zu schaffen. Ich glaube: THE FUTURE IS BUNT UND KONTROVERS, QUEER UND EHRLICH.
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