top of page
  • AutorenbildFiona Mählmann

Pangea Festival - Musik zwischen Halfpipes und Basketballplätzen

Ein persönlicher Nachbericht von Fiona Mählmann

Mecklenburg-Vorpommern ist den Großteil des Jahres nicht für seine Events bekannt. Umso größer und relevanter wirken dadurch die Festivals, die sich in den letzten Jahren an der Küste etabliert haben. Ich bin selbst in einer Kleinstadt in Vorpommern groß geworden und erinnere mich noch, wie jedes Jahr vor den Sommerferien in kleinen Gruppen organisiert wurde, wie man am besten nach Pütnitz kommt, wer schon fahren kann, wer ein Zelt mitbringt. Und trotzdem ich damals keine 20 Minuten Autofahrt gebraucht hätte, musste ich erst Mitte zwanzig werden und seit Jahren in Berlin wohnen, ehe ich es selbst das erste Mal zum Pangea Festival schaffe.

Vom 10. – 13. August kommen dieses Jahr ca. 15.000 Festivalgänger:innen auf das ehemalige Flugplatzgelände in Pütnitz am See. Ich reise mit leicht gedämpfter Stimmung in einem überfüllten RE an. Dilla, auf die ich mich besonders gefreut hatte, musste ihren Auftritt aufgrund von Krankheit schon einige Tage früher absagen. Im Laufe des Wochenendes würden auch noch Luna und Die Tränen krankheitsbedingt ausfallen. Die verregneten Wochen haben ihre Spuren hinterlasse.

Endlich auf dem ehemaligen Flugplatzgelände angekommen, dauert es keine 10 Minuten, bis man die ersten bekannten Gesichter aus der Kindheit wiedersieht. Trotzdem das Festival bei weitem nicht mehr so familiär ist, wie es zu meinen Schulzeiten noch war, freut man sich jeden Tag wieder auf alte Bekannte zu treffen.


Zwischen Halfpipes, Boulderwänden, Parkour-Vorrichtungen und Basketballplätzen sind die Bühnen verteilt. Live-Musik gibt es in erster Linie auf der großen „New Haven“ Bühne im Schiffscontainer-Look und im „El Barrio“ als Teil eines kubanisch inspirierten Marktplatzes. Nach einem kurzen Spaziergang zum Strand, vorbei an dem steampunkigen „Sandlantis“ DJ-Floor, DIY-Workshops und dem Stand-Up-Paddle-Yoga-Kurs, mache ich mich auf den Weg Cloudy June zuzuhören. Noch ist es ein wenig leer vor der Main Stage – es ist Donnerstag, 18:30 Uhr – aber die Stimmung ist unglaublich gut. Egal, wer auf den Bühnen stand und egal zu welcher Uhrzeit, das Publikum gibt tagelang 110%. Besonders den kleineren Künstler:innen glaubt man daher vollkommen, wenn sie sagen, man sei das beste Festivalpublikum, für das sie je gespielt haben.

Das persönliche Highlight des Donnerstags ist Futurebae, die selbst mit vielen bisher unveröffentlichten Songs eine unglaubliche Energie bei den Zuschauer:innen hervorruft. Sie teilt mit der ersten Reihe beim „Sektfrühstück“ um 22 Uhr, erzählt von Selbstzweifeln, die man ihr kaum zutrauen würde, und man sieht ihr an, wie gerührt sie ist, dass das Publikum den Text von „Immer Sommer“ komplett mitsingen kann, nachdem sie nur die ersten paar Worte als Anstoß gegwben hat. Nach einer Menge mitgesungener Vokale bei Jeremias und Gekichere über unpassende Moshpits, von denen es noch einige geben würde, geht es am ersten Abend früh ins Bett.

Das Wetter am Freitag ist noch besser als am Donnerstag. Nach einem doch sehr verregnetem Festivalsommer muss man sich dieses Wochenende mal nicht durch den Matsch kämpfen. Ich lasse mich den Tag treiben. Die DJs ausgenommen, stehen heute nur zwei FLINTA* Acts als Hauptpersonen auf den Bühnen, jeweils als Teil eines gemischten Duos. Für ein paar Workshops habe ich noch kurzfristig einen Platz über die Festival-App zugeteilt bekommen, batike mit Blumen und mische ein Duftöl zusammen. Jede Schaukel auf dem Gelände wird ausprobiert Mit einem der vielen untereinander verbundenen Telefone, die an verschiedenen Ecken zu finden sind, wird sich mit bisher Fremden darüber ausgetauscht, wie traurig man ist, dass Dilla absagen musste. Das Festivalmotto ist „Never Stop Playing“ und ich fühle mich tatsächlich wie auf einem Spielplatz für Erwachsene.


Abends sehe ich zum ersten Mal K.I.Z. live nicht in Kleidern. Bisher bin ich nur zu den Frauenkonzerten des Trios gegangen. Nach vielen Geschichten von schlechten Erfahrungen meiner Freundinnen in K.I.Z. Moshpits, mache ich mir kurz Sorgen, als plötzlich eins direkt neben mir eröffnet wird. Doch auch hier bin ich wieder positiv überrascht von dem Pangea-Publikum. Nach dem Set geht es verschwitzt und ziemlich ausgepowert weiter zu Ätna. Die Bühne erinnert an ein Raumschiff, in dem Inéz und Demian die Zuschauer:innen mit ihren Electronica-Sounds auf einen anderen Planeten nehmen. Zum Abschluss des Tages geht es noch einmal zu der New Haven Stage, auf der das Techno-Duo Brutalismus 3000 zu sehen ist. Das Schlachtfeld, das nach K.I.Z. übriggeblieben ist, passt zu dem edgy-punkigen Clubsound der beiden. Einziger Kritikpunkt: Es hätte lauter sein können.

Besonders hier fällt auf, was für ein verschiedenes Verständnis von Rave-Culture im Publikum besteht. Die (selbst-)ironischen maßlosen Party-Vibes, die sich post-Covid in der deutschen Musikszene etabliert haben, sind beim Pangea täglich vertreten und aus der Distanz kritisch beäugt worden. „Der Refrain ist so schön dumm. Wir schalten jetzt alle unsere Gehirne aus!“ heißt es von Ski Aggu am frühen Samstagabend auf der Mainstage. Damit sagt er nichts anderes als K.I.Z. am Vortag mit „Urlaub fürs Gehirn“, aber die Tendenz aktuellen Rising-Stars, trotz weniger umfangreichen Diskografien, gute Timeslots auf großen Bühnen zu geben, trifft nicht bei allen im Publikum auf Verständnis. Und das völlig ungeachtet der Bühnenpräsenz, die von den Künstler:innen mitgebracht wird.


Der Samstag hat, im Gegensatz zum Freitag eine sehr gute FLINTA* Quote auf den Bühnen. Am späten Nachmittag geht es nach einem kurzen Regenschauer zu der Britin Hannah Grae. Man merkt, dass sich noch nicht alle Festivalgänger:innen vom Vortag erholt haben. Noch sind nur wenige Leute vor der Bühne verstreut. Hannahs Musik erinnert an alte Emo und Pop-Punk Songs, ihre Attitude ein wenig an Hayley Williams. Zum Ende des Sets hat sich eine doch beachtliche Menge vor der El Barrio Stage zusammengefunden, besonders, da Beachpeople parallel auf der Main Stage spielt. Zwischen dem Wiedersehen mit alten Freunden bleibt kaum Zeit Verifiziert zuzusehen, bevor man sich dem Fluss der Menge zu Ski Aggu anschließt. Den ganzen Tag hat man nur gehört, wie alle sein Set sehen wollten. Dementsprechend voll ist es jetzt vor der New Haven Stage. Für ‚Tour de Berlin‘ kommt Domiziana bereits als Gast auf die Bühne. Die mit schnellen Brillen ausgestatteten Zuschauer:innen grölen den Text, kaum vorstellbar, noch lauter mit ls vorher. Am Ende des Songs habe ich all meine Energie aufgebraucht. „Es ist ein Geheimnis, aber euch kann ich es ja sagen: Ich bin schon ein bisschen in Domiziana verliebt“, sagt Ski Aggu, als sie die Bühne wieder verlassen hat. Wir auch, Aggu, wir auch. Bis zu Domizianas Stagetime sind es danach noch immer 5 Stunden.


Positiv überrascht bin ich von Mariybu. Ihre Songs klingen live ganz anders, als auf Streaming-Plattformen. Ich tanze zu ihren neuen Songs und singe mit ihr und allen Zuschauenden von ‚Hot Girl Shit‘, der, wie Mariybu vorher klargestellt hat, natürlich auch hot boy/dey shit sein kann. Bei ihrem Acapella Rap über ihre Erfahrungen als Frau im Musikbusiness habe ich wieder ein paar wütende Tränchen in den Augen. Teile der Pangea Menge waren schon recht „atzig“, wie eine Freundin bemerkt hat, aber besonders, wenn Frauen auf den Bühnen standen, habe ich mich unglaublich gut aufgehoben und empowered gefühlt, von allen Menschen, die um mich herumstanden.

Im Vergleich zu einigen anderen Festivals diese Saison, hat das Pangea mit Badmómzjay tatsächlich eine Headlinerin - am Samstagabend auf der Main Stage. Mit großen LED-Screens und mehreren Tänzerinnen liefert sie eine riesige Show. Am Ende ihres Sets erwarte ich nicht, sie noch einmal wiederzusehen. Etwas ausgelaugt versuche ich eine etwas ruhigere Ecke zu finden, doch es is so voll, dass das fast unmöglich ist.

In der Erwartung, dass es trotz der Stagetime von 1:40 Uhr für Domiziana sehr voll werden würde, bin ich schon etwa eine halbe Stunde früher vor der El Barrio Bühne. Meine Vermutung bestätigt sich, aber dass sich das Publikum um die Ecke und über den angrenzenden Platz ausdehnt, kann ich von einer der ersten Reihen aus nicht sehen. Überhaupt ist es beinahe unmöglich sich auf irgendetwas außer Domiziana, ihren DJ und ihren Tänzerinnen zu fokussieren, sobald es losgeht. Domizianas Bühnenpräsenz ist überwältigend. Mit einer Mischung ihrer bisher noch wenigen Songs und 90er-Rave-Classics verwandelt sie die Gegend zwischen Bodden und Waldgebiet zum angesagtesten Club in einem Umkreis hunderter Kilometer. Für „Auf die Party“ bringt Domiziana Badmómzjay wieder auf die Bühne, die danach noch als Techno-Josy hinter dem DJ-Pult bis zum Ende des Sets mitfeiert. Domizianaverabschiedet sich mit den Worten: „Wir sehen uns dann gleich vor der Techno-Stage!“ Erst noch motiviert, lässt das Adrenalin nach etwa einer Viertelstunde bei mir nach und ich muss mich doch ins Bett verabschieden.

Das Pangea Festival ist seit seiner Entstehung viel gewachsen, doch man hat trotzdem das Gefühl in einer sehr respektvollen enthusiastischen Community zu sein in die sich die Artists auch immer wieder gerne selbst begeben. Wir freuen uns, dass die noch sehr männlich geprägten Line-Ups früherer Jahre, besonders hinter den DJ Pulten aber auch auf den Bühnen immer mehr mit FLINTA* Personen besetzt werden. Am liebsten wäre uns natürlich, wenn an jedem Tag so viele Frauen* zu erleben wären, wie am Samstag. Aber das kann ja vielleicht im nächsten Jahr etwas werden. Mit Dilla ist in der Hinsicht schon ein brillanter Anfang gegeben.







bottom of page