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AutorenbildFiona Mählmann

Die Re:live Re:view

Eine Konzertreview von Fiona Mählmann

Die Musikindustrie leidet heute noch unter den Folgen der Pandemie. Auch ohne Inflation und Energiekrise war mitzubekommen, wie die Ticketpreise für Livemusikevents gestiegen sind. Die Konzertreihe re:live hat sich zur Aufgabe gemacht, besonders aufstrebende Musiker:innen auf die Bühne vor Publikum zu bringen – für einen fast utopischen Ticketpreis von zehn Euro pro Abend. Dank der Förderung durch das Programm „Perspektive Kultur“ der Senatsverwaltung für Kultur und Europa wurde diese Events möglich gemacht, ohne dass auf Wirtschaftlichkeit und Ticketverkäufe geachtet werden musste.

Die erste Edition Ende 2021 im Huxleys musste leider aufgrund der Corona-Vorschriften verkürzt werden (ein fast surrealer Gedanke aus heutiger Perspektive). In diesem Februar konnte nun aber die re:live Newcomer Serie in die zweite Edition gehen, diesmal im Hole 44 . An fünf Abenden waren insgesamt 12 Acts aus verschiedensten Musikrichtungen zu sehen, von jazzigem Hiphop über alternativen R&B, Rap und Neosoul bis hin zu Y2K-Punk und verträumtem Elektronikdisco. Eine Mischung aus Künstlerinnen, mit bisher wenig Bühnenerfahrung und jenen, die lediglich ihr Berlin-Debüt hatten, waren zu erleben.

Den Start am 11.02. machten das belgische Hip-hop Duo blackwave., die unter anderem auch schon beim Sziget und Pukkelpop zu sehen waren, der West-Londoner Rapper Finn Foxell, und die Berliner Sängerin Yasmin Umay, die mit ihren zwischen Englisch und Spanisch wechselnden Texten den Männern des Abends an Internationalität nichts nachsteht. Am darauffolgenden Donnerstag, dem 16.02. waren das Berliner Duo Mirrors for Princes zu erleben, deren Indie-Pop Sound gemischt ist mit Elektronica und Trip-Hop, Punk. Außerdem die norwegisch-isländische Band Ultraflex, auch ein Duo, die disco-italo inspirierten Synth-Pop produzieren. Den Abschluss am 25.02. machten der Londoner Rapper und Produzent Louis Culture, Neromun, Sänger und Rapper aus Mainz und die Deutsch-Iranerin Maryam.fyi mit ihrem treffend selbstbetitelten „Sophisticated Indie-Pop“. Vier Acts an zwei Tagen konnten wir trotz der heftigen Erkältungswelle auch vor Ort erleben.

Es ist der 18.02. Noch um 19:45 Uhr ist es so leer im Hole 44 , wie ich es bisher noch nicht gesehen habe. Mulays Stage Time ist 20 Uhr. Mit einem Mal füllt sich der Raum, überwiegend mit Frauen. In der Luft liegt eine neugierige Ungewissheit, was der Abend bringen wird. Fashionably late betritt die Band die Bühne und beginnt zu spielen. Mulay kommt in einem schwarzen luftigen Mantel aus der Tür am hinteren linken Ende und zieht das Publikum allmählich in ihren Bann. Eigentlich hätte sie schon im Winter 2021 im Rahmen der Konzertreihe im Huxleys auftreten sollen. Yasmin Umay und sie sind die einzigen, die für diese Edition wieder gebucht wurden. Selbstsicher bewegt sich Mulay über die Bühne; ihre Choreographie wirkt sowohl natürlich als auch künstlerisch. Mit ihrer weichen Stimme, lässt sie den kalten regnerischen Februar Berlins vergessen. Die Temperatur steigt. Sie legt ihren Mantel ab, darunter ein Outfit mit einem blassrosa Harness, Ketten und Perlen. Ihr Selbstbewusstsein füllt den Raum und die Bühne wirkt zu klein für sie – es braucht kaum Phantasie, sich vorzustellen, wie sie mit einer riesigen ästhetischen Produktion große Hallen in Trance setzt. Für die Zukunft gar nicht so unrealistisch, war Mulay im Sommer noch auf den riesigen Billboards Spotifys auf dem New Yorker Times Square zu sehen.

Nach einer kurzen Pause betreten The KTNA die Bühne. Mulays innere Energie hatte bisher den Raum eingehüllt. Die Zwillinge Hope und Millie Katana scheint eine feurige Wolke von Temperament zu umgeben, die sich mit ihrem ersten Schritt auf die Bühne auf alle überträgt. Die beiden sehen aus wie Matrix-Cowgirls in ihren Latexoutfits und glitzernden Hüten. Vielleicht meint man daher einen Hauch Country in ihren Soul/R&B Songs zu hören. Die Schwerstern aus Manchester haben das Publikum vollkommen unter Kontrolle, beziehen es ein in die Performance ihrer ehrlichen Songs über die Strapazen des Lebens. So viel Energie die beiden auch ausstrahlen, so eine warme Atmosphäre kreieren The KTNA während ihres Sets. Die Zeit fliegt nur so vorbei und am Ende wünscht man sich, es würde nie enden. Ein Abend, der so berauschend und professionell war, dass er nicht in eine Reihevon „Newcomer“ Konzerten gehört.

Am 23.02. regnet es schon wieder in Berlin. Die nasse Kälte sitzt in den Knochen. Es ist wieder sehr leer, als ich im Hole 44 ankomme. Ist schließlich auch ein Donnerstag. Ein Aufwärmen durch das Stehen in der Menge ist also nicht zu erwarten. Als Aze die Bühne betreten, und es das Publikum in ihre Richtung zieht, sind dann doch etwa 2/3 des Raumes locker gefüllt. Ihre träumerischen Songs erinnern an den Sound von The Neighbourhood und Lana Del Rey – mit Covern von Del Rey haben die Freundinnen Beyza & Ezgi angefangen gemeinsam Musik zu machen. Ihre Musik versetzt das ganze Publikum in Bewegung, kleine Wellen, die sich von Lautsprechern auf Körper übertragen. Unglaublich charmant, im Beat selbstvergessen versunken, ist ein wenig, als würde man einem Vogel dabei zusehen, wie er lernt seine Flügel auszubreiten und loszufliegen. Auf einen immer höher steigenden Flug werden Aze sich auf jeden Fall im April und März als Support für Power Plush und Sharktank in Deutschland und Österreich begeben.

Wenig später betritt Akemi Fox die Bühne. In ihrem schwarzen hautengen Kleid und ihren langen Braids sieht sie genau aus, wie man ich eine jazzige RnB-Sängerin vorstellt. Ihre Stimme ist samtig und hüllt einen komplett ein. Man ist etwas erinnert an Jorja Smith. Akemi Fox ist kein Künstlername. „Meine Eltern haben mir einen Namen für einen Star gegeben“, sagt sie zwischen zwei Songs und kichert verlegen. Diese Verlegenheit ist es, die leider den Eindruck des divine feminine, den sie zu vermitteln wünscht, immer wieder bröckeln lässt. Akemi ist sichtlich nervös, redet sehr viel zwischen ihren Songs, schaut unsicher durch den Raum und zu ihrem Freund, der für sie Gitarre spielt, auf der Suche nach Halt. Dabei hat sie auf jeden Fall die Fähigkeit das Publikum mit ihrer Präsenz einzunehmen. Immer wieder hat sie wunderschöne selbstbewusste Momente, in denen man tatsächlich meint, eine Göttin vor sich singen zu sehen.

Re:live schafft es mit seiner Konzertreihe, Livemusik wieder zu etwas Neuem, Aufregenden zu machen. Durch die niedrige Schwelle, die finanziell gesetzt wird, erlaubt das re:live, sich vom Unbekannten begeistern zu lassen. Man ist heute zu sehr gewohnt, Musik mit ein paar Klicks immer und überall zur Verfügung zu haben, dass das Erlebnis Musik leicht verloren geht. Also guckt euch um in eurer Gegend, wo ihr günstig Livemusik erleben könnt, auch wenn ihr die Künstler:innen noch nicht kennen solltet. Vielleicht sind ja auch neue Fundstücke für eure Playlists dabei.

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