Endlich ist Mavi Phoenix da, wo er schon immer sein wollte - ganz bei sich. Mit seinem aktuellen Album "Marlon" zeigt er selbstbewusst, wer er ist und schon immer war. Das merkt man sowohl in den empowernden Lyrics des Albums als auch in seinem wiedererkennbaren Indie-Sound. Man hat fast das Gefühl, dass sich Marlon auf dem gleichnamigen Album selbst ein bisschen neu kennenlernt.
Im Gespräch mit Marlon haben wir über das Album gesprochen, aber auch um die vielschichtigen Nuancen seiner Persönlichkeit, die mit dem Album in Verbindung stehen. Während des Interviews merkt man immer wieder, wie sehr ein Gefühl von Freiheit in seinen Songs steckt. Befreit von restriktiven Grenzen zeigt uns Marlon ganz authentisch, wer er musikalisch ist.
Hallo Marlon, wie geht’s dir nach diesem aufregenden Wochenende? Du warst ja beim Wiener Benefizkonzert gegen den Krieg in der Ukraine. Wie war‘s?
Es war auf jeden Fall eine arge Erfahrung. Ich habe noch nie vor so vielen Leuten gespielt. Nur einmal habe ich vor einer vergleichbaren Menge gespielt - das war als Voract für Casper und Marteria auf der Waldbühne in Berlin. Da passen so 20.000 Leute hin, aber dieses Wochenende habe ich in dem Stadion vor ca. 40.000 Menschen performt. Es war ein krasses Gefühl und auch dadurch, dass es für diesen guten Zweck war, war es eine schöne Erfahrung, obwohl natürlich irgendetwas in der Luft lag, da der Anlass kein schöner ist. Jeder Act wusste, es geht jetzt nicht irgendwie darum, Werbung zu machen oder die Aufmerksamkeit auf sich und die Performance zu ziehen. Alle waren einfach dankbar, ein Teil von etwas Großem sein zu können.
Ihr habt so ein starkes Zeichen gesetzt. Ich habe nur ein paar Ausschnitte im Nachhinein gesehen, aber es sah unglaublich aus. Es muss bestimmt ein aufregendes und kribbelndes Gefühl gewesen sein. Am Wochenende konntest du dann auch schon ein paar Songs aus deinem neuen Album „Marlon“ performen. Wenn du dein Album in drei Adjektiven beschreiben müsstest, welche würdest du wählen?
Oh, ich würde glaub‘ ich sagen: (überlegt) melancholisch, aber doch irgendwo hoffnungsvoll und - es ist irgendwie schwierig, den Sound zu beschreiben, weil es von bis geht - zuletzt auch noch analog.
Cool! Ich muss sagen, als ich in dein Album reingehört habe, war ich sehr überrascht, da es so facettenreich ist. Denn es geht ja von sehr dynamisch bis
zu sehr melancholisch, so wie du es beschreibst. Es ist auf jeden Fall ein sehr vielseitiges Album!
Jaja voll! Dynamisch ist auch schön.
Dynamisch findest du auch schön? Wir können ja auch vier Adjektive draus machen (lacht). Dein Album ist nach deinem Vornamen benannt und das Cover zeigt ein schwarz-weißes Porträt von dir. Was möchtest du damit deinem Hörer:innen zeigen?
Ich wollte auf jeden Fall ein Zeichen setzen: „Hey that is me now - das bin ich“. Ich wollte auch, dass endlich der Letzte kapiert, das alle es verstehen, dass ich jetzt eben männlich bin und dass das meine neue Identität ist. Ich fand auch dieses eher simple Cover in diesen Zeiten, wo sich jeder Grafik-Designer mit dem freshesten Shit übertrumpfen will, ganz schön. Ich habe mich dazu entschieden, es etwas mehr classy zu machen. Das Foto spiegelt auch das ganze Album wider. Es geht viel um coming-of-age, obwohl ich schon 26 und ein erwachsener Mann bin, aber durch meine persönliche Geschichte kam ich erst zu diesen Erlebnissen sehr spät.
Würdest du auch sagen, dass das Album eine Art Selbstporträt ist und dich selbst widerspiegelt?
Ja, auf jeden Fall. In der Zeit, in der das Album entstanden ist, wurde ich zu Marlon und ich möchte mit dem Album zeigen „das ist mir passiert in dieser Zeit und jetzt bin ich er, jetzt bin ich Marlon!“
Wenn wir ja schon gerade dabei sind, über den Entstehungsprozess des Albums zu reden. Das ist ja sehr viel Arbeit! Über welchen Zeitraum hast du an dem Album gearbeitet und hast du das Gefühl, jetzt bei der Veröffentlichung persönlich an einem anderen Punkt zu sein als zu Beginn des Prozesses?
Voll! Eigentlich ging das Album sehr schnell. Ich habe nach „Boys Toys“ im April 2020, angefangen zu schreiben und im Sommer 2020 hatte ich schon die ersten Skizzen, die dann auch zu Songs vom Album geführt haben. Dann habe ich 2021 das Ding schon abgegeben und würde sagen, dass ich de facto knapp ein Jahr daran gearbeitet habe.
Das ging ja super schnell! Wie fühlst du dich, nachdem das jetzt veröffentlicht wurde?
Ich fühle mich gut. Ich glaub‘, das hat jeder Artist, dass man sich nach der Veröffentlichung doch schon ein wenig „weiterfühlt“ als das Album eigentlich ist, aber ich merke, dass es für mich extrem wichtig war, dieses Album zu veröffentlichen, um meine Geschichte ein Stück weiter zu erzählen und damit die Leute wieder up to date sind darüber, wer Mavi Phoenix überhaupt ist. Und jetzt habe ich so ein Gefühl von Freiheit, dass ich alles machen kann, was ich will, da das ganze Genderthema jetzt endlich abgehakt ist. Ich wollte allen zeigen, wer ich bin, und das habe ich jetzt auch getan!
Das ist wirklich schön und einfach beeindruckend. Als ich mir deine Tracks auf Spotify angehört habe, poppen da ja auch diese Reels auf und ich habe gesehen, dass du in „Tokyo Drift“ ja wortwörtlich mit deinen Converse auf einer E-Gitarre driftest. Ich finde das Video richtig cool, skatest du auch in deiner Freizeit, also nicht auf Gitarren, sondern Boards?
Ja ich hatte eine Phase, in der ich viel geskatet habe. Ich mag skaten, aber ich bin wirklich ein schlechter Skater (lacht). Ich bin mehr so der, der rumcruist als ein Trickster. Ne, das kann ich gar nicht - leider - ich würde es voll gern können.
Ich kann’s total nachvollziehen, ich hab‘ mich auch mal ans Skaten heran getraut, aber hab mir direkt einen Arm verstaucht und hab’s dann auch dabei belassen (lacht).
Ich habe so lange gebraucht, um überhaupt einen Olli hinzubekommen. Wenn ich jetzt aufs Board steigen würde, dann würde ich, glaube ich, gar nichts gebacken bekommen (lacht).
Wenn wir gerade schon bei deinen Songs sind, in Tokyo Drift“ singst du „If there’s one thing that I know for sure is that there’s a high after every low“ und „since 2017 not ashamed, I’m a player for this game, I toss the ball, I’m not afraid“. Dieser Song strahlt ja gerade so vor Selbstbewusstsein, warst du schon immer eine selbstbewusste Person?
Ja, schon, also die Lyrics in „Tokyo Drift“ sind sehr selbstbewusst und da spielt man natürlich als Künstler auch mit den Wörtern, um dieses Selbstbestbewusstsein nochmal verstärkt zu zeigen. Im Alltag habe ich, würde ich sagen, ein ehrliches Selbstbewusstsein. Das liegt daran, dass ich weiß, was ich kann und was ich möchte. „Tokyo Drift“ war auch der erste Song, der entstanden ist, bei dem ich eine Veränderung in meiner Stimme gehört habe und das hat mir natürlich auch Selbstbewusstsein gegeben, weil ich in dem Moment wusste „Wow, ich verändere mich und ich bin endlich der, der ich sein wollte“.
Wow! Das kommt so rüber in dem Song! Ich finde besonders die line „I toss the ball“ ist so eine schöne Metapher fürs Selbstbewusstsein. In „Leaving“ singst du von einer toxischen Beziehung, von der du es endlich geschafft hast loszukommen. Spiegelt der Song eine persönliche Erfahrung in deinem Leben wider?
Ja (munkelt, lacht). Es ist immer so, dass ich über Sachen schreibe, die mich persönlich beschäftigen, aber natürlich überspitzt man auch oder lässt sich was einfallen, was eigentlich gar nicht so passiert. Dann kommen die Ideen auch aus Filmen oder von irgendwas, was ich gesehen habe. Ich habe den Song auch für mich selbst geschrieben, um in der Situation Selbstbewusstsein zu bekommen. Zu dem Zeitpunkt, als der Song entstanden ist, war ich noch gar nicht so weit, alles hinter mir zu lassen. Aber ich wollt auch damit ein Zeichen für mich selbst setzen, dass ich, obwohl ich noch nicht ganz dafür bereit war, einfach ganz neu, von Null starte und alles, was davor kam, hinter mir lasse. Ich schreibe auch oft Songs, in denen ich so drauf bin, wie ich im echten Leben gerne wäre.
Hast du da ein Beispiel?
„Tokyo Drift“ ist ein gutes Beispiel oder auch „Just an Artist“, wo ich flexe. Immer in den Songs, wo ich so flexe, möchte ich gerne das Gesagte zum Leben bringen und das, was ich sage, selbst verwirklichen.
In einem deiner Songs singst du „I am so happy I’m useless“. Was meinst du damit?
Es gibt zwei Arten, auf die man das auslegen kann. Auf der einen Seite bin ich so glücklich, dass ich unfähig und nicht zu gebrauchen bin. Oder ich bin so glücklich, weil ich zu nichts zu gebrauchen bin. Aber ich hab‘ eher Nummer 1 gemeint. Also auf diese Weise glücklich zu sein, dass man nicht mehr zu gebrauchen ist. Der Text entstand aus dem Gedanken: Was ist, wenn ich alles in meinem Leben habe, was ich wollte, jeder Traum wird war - mein größter Traum war immer als Mann zu leben und der zu sein, der ich bin. Für mich war das immer etwas Unmögliches, was ich niemals bekommen könnte und auf einmal war es möglich, auf einmal kann ich derjenige sein, der ich wirklich bin. Natürlich kam dann auch der Gedanke auf, was passieren würde, wenn ich alles habe, was ich mir jeweils erträumt hatte. Aus dieser
Überlegung entstand schließlich der Song. Aber das ist ja eh nie so, denn selbst wenn man alles hast, schafft es der Mensch immer, sich etwas zu überlegen, was er noch nicht besitzt.
Ja auf jeden Fall! Menschen möchten immer das, was sie nicht haben und auch wenn sie alles haben, schaffen sie es immer, sich etwas auszudenken. In deinem Album geht es viel um Freiheit, Liebe und Sex, aber natürlich auch um Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Wenn du deinem 16-jährigen Ich einen Ratschlag geben könntest, was würdest du ihm sagen?
Uhhhh, was würde ich sagen... „Hey, es wird alles gut werden. Du sollst dir keine Sorgen machen und bleib einfach geduldig, alles wird gut.“
Oh wow, das ist wirklich schön. Wenn du deinen Hörer:innen eine Botschaft von deinem Album mit auf den Weg geben solltest, wie würde sie lauten?
Ihr könnt alles sein, was ihr sein wollt. Das ist das, was ich immer mit auf dem Weg geben möchte. Ich möchte, dass die Menschen, die Angst haben, sie selbst zu sein, Mut schöpfen können und sehen, dass ich es geschafft habe, alles in meinem Leben verändert habe, weil es mir scheiße ging und sie es genauso schaffen können, sie selbst und frei zu sein. In dem Sinne „Er hat sich verändert, dann kann ich das auch“. Ich hatte da mal so ein gutes Zitat gelesen, aber das fällt mir gerade nicht ein (lacht). Aber der Gedanke war, dass Menschen lieber in schlechten Situation sind, die sie kennen, als in guten Situationen, die sie nicht kennen, da sie sehr viel Angst vor dem Unbekannten haben. Man lebt dann einfach in dieser Lebenssituation weiter, die man kennt, obwohl es einem schlecht geht, weil man sich daran gewöhnt hat, mit seinen eigenen Dämonen und schlechten Gedanken zu existieren. Es braucht sehr viel Mut, Sachen im Leben zu verändern und ich persönlich tue mir auch schwer damit. Ich glaube, das ist das, was ich mitgeben
möchte, dass man sein Leben einfach ändern kann und nicht irgendwie zusehen muss, wie alles scheiße ist.
Das ist eine sehr sehr schöne Message. Deine Tour fängt ja jetzt bald an - bist du aufgeregt?
Ich freue mich total. Ich glaube, dass es richtig schön wird und ich bin auch jemand, der für Bühnen gemacht wurde, also nicht im Sinne, dass ich jetzt soooo gut bin, aber ich merke, dass es mir gefällt und ich hab‘ Spaß dabei.
Sau cool! Zuletzt möchte ich noch ein paar Musikempfehlungen von dir! Was sind deine Top Tracks, von denen du einfach gerade nicht genug kriegen kannst?
Ich mag sehr gerne das neue FKA twigs Album. Das ist sehr nice, da gibt es einen Song der heißt “Tears in the Club” featuring The Weeknd. Ach und “Nail Tech” von Jack Harlow finde ich auch sehr cool.
Wenn du eine Platte auf eine einsame Insel mitnehmen müsstest und sie bis zum Ende deines Lebens hören müsstest, welche wäre das?
Ich glaube, das wäre “Blonde” von Frank Ocean.
Wow, ich liebe das Album. Frank Ocean ist einfach ein unglaublicher Artist. Was gefällt dir an „Blonde“?
Das Album kann ich so oft hören und ich finde immer wieder neue Sachen - das ist einfach so ein Evergreen.
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