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  • AutorenbildDominik Kotzur

FLOSS: "die Realität ist manchmal so langweilig"

Dominik Kotzur im Interview mit Floss

credits: Marlen Stahlhut


Der Name ihrer EP verrät eigentlich schon so ziemlich alles - Feminist Fantasy Fiction. In ihrer Musik schafft sich Newcomerin FLOSS ihre ganz eigene Welt, in der jede:r so sein darf, wie er oder sie sein will. Dominik hat die Musikerin einige Zeit nach ihrem Auftritt beim Lollapalooza zum Interview getroffen, weil er nach der Performance hin und weg war. Nach dem Interview sogar noch ein bisschen mehr, aber überzeugt euch doch selber von der bunten, lauten und spannenden Künstlerin FLOSS.


Hi Floss, ich freue mich so, dich hier zu haben. Seitdem ich dich auf dem Lolla gesehen habe, fiebere ich auf diesen Moment hier zu. Ich bin ein großer Fan deiner Musik und kann sie gar nicht richtig in Worte fassen - deswegen frage ich dich: Wie würdest du deine Musik beschreiben?


Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, ob ich meine Musik als Hyper Pop bezeichnen würde, da sie auch einen stark visuellen Charakter hat. Und dann habe ich mir irgendwann gedacht: Es ist Feminist Fantasy Pop. Das sind so die drei Worte, die meine Musik am besten beschreiben würden, weil dadurch auch diese visuelle Fantasy-Komponente zur Geltung kommt. Ich möchte alle Leute mitnehmen in eine Fantasiewelt, die es gerade in der Realität nicht gibt. Und diese drei Wörter fassen das ganz gut zusammen.


So cool! Wenn wir gerade auch schon bei Fantasy sind – da hast du auch schon ein wenig meine nächste Frage herausgegriffen. Du hast vor kurzem deine erste EP Feminist Fantasy Fiction veröffentlicht. Der erste Song deiner EP heißt ja Secret Fantasyyyyyyyyyy. Da habe ich mich gefragt, was ist denn deine ganz persönliche Secret Fantasy?


In welchem Bezug?


Es kann alles sein, also auch eine Traumfantasie, eine Fantasiewelt, eine Person, was auch immer du mit uns teilen möchtest.


Also, viele Secret Fantasies bleiben auf jeden Fall secret. Wenn man es aber politisch sieht, ist die wohl größte Fantasie, dass alle Menschen gleichberechtigt sind und wir World Peace haben – was jetzt nicht so secret, aber natürlich eines der größten Anliegen ist. Sonst eine persönlichere Secret Fantasy ist, dass ich irgendwann einmal ein Feature mit Peaches machen und mit Katy Perry auf der Bühne stehen kann

Ahh, ich liebe Katy Perry! Was wäre denn so ein Katy Perry Song, den du mit ihr auf der Bühne covern würdest, wenn du dir einen aussuchen müsstest?


Puhhh, wenn ich mir nur einen aussuchen könnte, würde ich glaube einen Song nehmen, der nicht so bekannt ist. Entweder I’m Still Breathing von ihrem ersten Album oder natürlich ihren wohl bekanntesten Song Firework, weil es definitiv ihr most iconic Song ist.


Cool, I’m Still Breathing kenne ich jetzt nicht, da muss ich mal reinhören. Aber zu Firework habe ich, wie bestimmt jede Person, witzige Karaoke-Erinnerungen, wo ich einfach mit meinen Freund*innen emotional versucht habe, die Lyrics mitzuschreien.


Besonders bei so Liedern, bei denen jede Person mitsingen kann, ist das Gefühl im Raum, einfach unglaublich. Wenn die ganze Halle mitsingt, da könnte man fast losheulen, weil diese Ener-gie der Menschen so schön ist.


Es ist einfach traumhaft. Ich finde, das ist auch das Schöne an Pop, weil es uns die Möglichkeit gibt, mitzusingen, zu tanzen, zu schreien, uns alle zu lieben und glücklich zu sein. Stell dir mal vor, du würdest in eine “Feminist-Fantasy-Welt” teleportiert werden und die Bewohner*innen dieser Welt könnten nicht hören, aber sehr gut schmecken. Wie würdest du auf einer geschmacklichen Ebene deine Musik beschreiben?


Also meine Musik wäre in dieser Welt ein sehr magisches Bonbon, das wenn man es in den Mund nimmt, seinen Geschmack verändert. Also, ich persönlich mag es sehr gerne, wenn Sachen süß und salzig gleichzeitig sind. Zum Beispiel ist mein Lieblings-Cocktail der Margarita, weil da so viele Geschmackserlebnisse auf einmal drin sind: Das Salz am Rand zusammen mit der Süße der Agave und dann trotzdem noch gemischt mit einer sauren Note und bisschen bitterem Tequila. Gefühlt die ganze Emotionswelt, die es auf der Zunge gibt, kommt in diesem Cocktail zusammen. So wäre auch mein besonderer Musik-Bonbon, das dann auch noch die perfekte Konsistenz hat. Gleichzeitig crispy aber dann mit einem surprise center. Ich liebe ja die-se Nimm2 Bonbons mit dem Plopp.

credits: Nick Strutsi

Oh, ja! Ich liebe diese Bonbons, die sind so lecker.


Wenn man dann noch ein bisschen mehr möchte, gibt es so einen Nachtisch, der heißt IIe flauttante. Das ist ganz viel weißer Eierschaum, der super fluffig ist, fast wie so Wolken und dazu gibt es eine süße Creme und Baiser – also das ist wirklich so lecker und verkörpert sehr gut meine Musik auf einer geschmacklichen Ebene.


Oh wow, das hört sich so gut an. Immer wenn ich mich ins Bett lege, dann stelle ich mir alternative Realitäten vor, bevor ich dann so richtig eindöse. So eine Art “Vorträumen”. In deinem Song Dream Diaryyyyyyyyyy singst du davon, von der Realität müde zu werden und in deine ganz persönliche Traumrealität einzutauchen. Wie sieht denn so eine “Floss Traumlandschaft” aus?


Auf jeden Fall ganz bunt mit sehr viel Glitzer. Die Realität ist manchmal so langweilig, deswegen versuche ich jeden Tag, meine Welt ein wenig bunter zu machen. Es ist auch eine Traumlandschaft, wo jede Person akzeptiert wird – also, das sind jetzt nicht die Gedanken, die ich mir ma-che, wenn ich einschlafe, aber so sähe auf jeden Fall die "Floss-Traumrealität" aus. Genau das versuche ich auch, mit meiner EP zu schaffen. Eine Welt, in der jede Person willkommen ist, au-ßer Nazis und homophobe Wichser. Wobei, wenn man sie konvertieren könnte, dann natürlich sie auch. Eine Welt, in der wir einfach schön alle zusammen feiern können und einfach sein können, wer wir wollen.


Das ist wirklich eine wunderschöne Traumrealität. Also würdest du sagen, dass das die Message deiner EP ist?


Ja, schon. Ich habe die EP zusammengestellt und überlegt, warum mache ich überhaupt die Songs, warum kommen die so aus mir raus, wie sie rauskommen? Es liegt daran, dass ich durch meine Musik eine Art von Alternative Reality schaffen möchte, um zu zeigen, dass sie existieren kann. Wenn wir alle in unseren Alltag feststecken und jeden Tag ständig mit verschiedenen, unschönen Dingen konfrontiert werden, dann brauchen wir einen Ort, an den wir fliehen können in der Hoffnung, dass dieser Ort auch irgendwann Realität werden kann. Ich finde nur so, dieser Funke Hoffnung, diese Möglichkeit, dem Alltag zu entfliehen, ist der Funke, der überspringen kann.


Wunderschön. Wirklich richtig toll. Vielen Dank für die schöne Antwort. Ich wollte dich, noch etwas zu Dream Diaryyyyyyyyyy fragen. Du singst „you’re the main character of my dream diary“. Wer ist denn ganz konkret der „Main- Charakter“ deiner Dream Diary?


Ich habe den Song geschrieben, als wir Lockdown hatten und ich ein Single Girl war – bezie-hungsweise ich bin es immer noch. Ich hatte keine romantische Bezugsperson und dann glaube ich, hat sich mein Gehirn an manche Celebrities oder fiktionale Charaktere festgegriffen, die ge-rade in den Medien präsent waren. Diese Personen waren dann einfach immer in meinen Träu-men. Sie sind zwar so unerreichbar, aber trotzdem hält mich nichts davon ab, von ihnen zu träu-men. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben, um durch diese schwere Zeit zu kommen.


Mir gings ähnlich. Ich habe mir durchs Träumen eine Art Komfortzone aufgebaut. Als ich von jemandem geträumt habe, auch wenn ich wusste, dass diese Person unerreichbar ist, habe ich mich nicht mehr so allein gefühlt und mir meine Welt so ein bisschen schöner gemacht.


Ich glaube, dass es vielen so geht, vor allem auf TikTok. Als ich letztens über dieses Thema ge-postet habe, meinten viele, dass sie Komfort und Rückzug in Fanfiction finden und das finde ich super faszinierend. Ich bin sowieso sehr von Popkultur und Fankulturen fasziniert und finde es schön, dass Menschen oder in diesem Fall Celebrities so eine Zuflucht sein können.

Ja auf jeden Fall, ein etwas anderer Zufluchtsort, an dem man vielleicht nicht direkt denkt. Aber zurück zu deiner Musik. In deinem Song Break Meeeeeeeeee singst du von “vulnari-bilty” und “thougness” zugleich und darüber, wie du möchtest, dass diese “armored glass walls” und Schutzbarrieren, die du dir aufgebaut hast, runtergebrochen werden. Was ist denn die emotionale Barriere beziehungsweise Glaswand, die für dich am schwersten ist, loszulassen oder runterzubrechen?


Oft, wenn man Leute kennenlernt, möchte man ihnen gefallen. Es ist aber super wichtig, sich nicht zu verstellen, um einen guten Eindruck auf eine andere Person zu machen. Wenn man sich zu viele Gedanken darüber macht, wie man auf andere Menschen wirkt, dann bleibt man sich nicht treu und verliert nicht nur sich selbst, sondern auch die Person, der man gefallen wollte auf dem Weg. Denn am Ende bringt es einem auch nichts, wenn die Person nur die eine, verstellte Seite kennt. Auch Perfektionismus ist für mich eine große emotionale Glaswand. Ich habe häufig das Gefühl, alles perfekt machen zu müssen.


Danke für deine Ehrlichkeit. Eine letzte Frage dazu: Wie kamst du denn auf den Song? Was für eine Geschichte oder Situation steckt dahinter?


Ich glaube, in dem Moment habe ich mir jemanden herbeigewünscht, der mein wahres Ich sieht. Eine Person, die diese armored glass walls zerbrechen kann, sodass ich mich wirklich voll und ganz, so wie ich bin, bei dieser Person wohlfühlen kann.


Dann habe ich jetzt noch so ein, zwei Abschlussfragen. Auf dem Lolla hast du dich durch eine emotionale Ansprache für das Organspenden eingesetzt. Wieso ist dir Organspenden besonders wichtig?


In Deutschland wartet man über zehn Jahre, zum Beispiel, auf eine Niere. Und mit dem Verein Junge Helden habe ich Ende 2019 angefangen, mich für das Organspenden einzusetzen. Zu der Zeit ging es gerade um die Debatte, ob in Deutschland die Widerspruchslösung eingeführt wird. Wir haben dann eine Kampagne dazu gemacht, aber leider wurde die Einführung der Widerspruchslösung im Januar 2020 im Bundestag abgelehnt.


Okay, könntest du noch einmal kurz erläutern, was es mit der Widerspruchslösung auf sich hat?


Klar. In Deutschland gibt es im Moment die Entscheidungsregelung, das heißt dass man zur Or-ganspende aktiv „ja“ sagen, also sich einen Organspendeausweis holen muss. Und in anderen Ländern, zum Beispiel in Spanien, ist es so, dass man automatisch Organspender*in ist, außer man sagt aktiv, dass man es nicht möchte – also somit Widerspruch einlegt. Und genau dafür müssen wir in Deutschland kämpfen. Wir möchten, dass das Thema in die Köp-fe der Menschen kommt und sie merken, wie wichtig es ist. Denn in Deutschland sind viele Leu- te bereit, Organspender*in zu sein. Aber durch fehlende Aufklärung von der Regierung, wird es als nicht so wichtig empfunden. Meine Mutter wartet seit Anfang 2019 immer noch auf eine Nie-re und die Situation ist seitdem nicht besser geworden. Einen Organspendeausweis zu haben, ist unglaublich wichtig, denn man kann auch „nein“ ankreuzen. Es geht mehr darum, dadurch dieses Thema in die Öffentlichkeit zu rücken und die Menschen darauf aufmerksam zu machen, dass sie eine Entscheidung haben und diese auch treffen können. Dadurch kann vieles an unse-rer Situation hier in Deutschland verändert werden.



credits: Nick Strutsi

Ich habe mich selbst noch nie mit diesem Thema so aktiv auseinandergesetzt, weil ja ,wie du sagtest, gerade diese Aufklärung in der Gesellschaft fehlt. Ich finde das sehr interes-sant, dass eine Regelung das Leben anderer so stark beeinflussen kann. Besonders, weil es auch so einfach sein kann, wie du es gerade erklärt hast.


Ich hoffe, wir kriegen jetzt die Widerspruchsregelung durch, wenn Lauterbach das verbindlich regelt.


Ja, das hoffe ich auch! Ich finde es toll, wie du dich mit deiner Musik dafür einsetzt und allgemein, dass sich Künstler*innen mit Musik und der Aufmerksamkeit, die sie bekommen, in so viele verschiedene Richtungen engagieren und so natürlich auch viel verändern können.


Ja, ich sage auch immer, dass meine Musik und alles, was ich mache, eigentlich Clickbait für die wichtigen Themen sind. Das hängt viel mit diesem Pop-Art Thema zusammen, dass man durch Farbe, Musik und Kunst Aufmerksamkeit bekommt, aber dann quasi, wie in der Kunst, eine Mes-sage hinter der Musik steckt. Anfangs kann das Bild verwirrend sein und dann, wenn man näher hinschaut, erkennt man nach und nach, worum es eigentlich geht und was der tiefere Sinn da-hinter ist.

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