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  • AutorenbildJule Detlefsen

FLETCHER: "Scheitern ist essentiell"

Jule Detlefsen im Interview mit der Musikerin FLETCHER anlässlich ihres Albumreleases "In Search Of The Antidote"


credits: Sebastian Faena


Als FLETCHER kurz vor dem Interview eine Sammlung von verschiedenen Crystals aus ihrer Hosentasche zog, wusste ich direkt: Heute werden ein paar Lebensweisheiten mit nach Hause genommen. Ich sollte von meiner Erwartungshaltung nicht enttäuscht werden. Zum Anlass des Releases ihres aktuellen Albums In Search Of The Antidote durfte ich die Musikerin in Berlin treffen. Gemeinsam haben wir auf ihre bisherige Karriere zurückgeblickt und daraus geschlossen, warum FLETCHER heute so herrlich selbstbewusst ist und welche Erfahrungen im Musikbusiness für sie dahingehend prägend waren.


Es kann ziemlich schwierig sein, als Frau in einer so männerdominierten Branche wie der

Musikbranche zu arbeiten. Aber du machst einen so unglaublich selbstbewussten Eindruck.

Deshalb wollte ich heute mit dir darüber sprechen, wie man eigentlich selbstbewusst wird

und was es bedeutet, diese Reise auf sich zu nehmen?


Ich glaube nicht, dass es etwas ist, mit dem man einfach eines Tages über Nacht aufwacht. Es ist

eine bewusste Praxis, für sich selbst einzutreten und sich selbst zu ehren und seine Wahrheit

auszusprechen und zu glauben, dass seine Ideen wertvoll sind, dass sein Standpunkt wichtig ist

und dass man der Welt eine einzigartige Perspektive zu bieten hat.

Wenn du erkennst, dass niemand sonst wie du bist und niemand sonst das anbieten kann, was

du anbietest, dann fängst du an, die Magie von dir zu entdecken. Das führt zu diesem

Selbstvertrauen.

Vor allem in einer von Männern dominierten Branche, in der man das Gefühl hat, dass nicht für

jeden ein Platz am Tisch ist. Aber ich habe erkannt, dass es ihn tatsächlich gibt. Vor allem, wenn

man keine Angst hat, zu scheitern. Ehrlich gesagt, man wird es nicht jedem recht machen können,

und man muss es einfach versuchen.


Einfach mal mit sich selbst einchecken und schauen, was passiert denn eigentlich, wenn

ich versage? Was ist das Schlimmste, was passieren könnte?


Wirklich das Schlimmste, was passieren könnte, ist, dass du den Weg findest, der eigentlich für

dich bestimmt ist.



Du hast schon viele Dinge gesagt, die wir mit diesem Magazin auch versuchen zu erreichen,

wie z. B. sich Raum einzunehmen und selbstbewusst zu sein und nicht das Gefühl zu

haben, dass man etwas nicht kann oder dass Männer es besser können.


Es geht um Herz und Talent. Es geht um die Art und Weise, wie du deine Perspektive und deine

Einzigartigkeit nutzt. Es geht nicht um das Geschlecht. Das Erschaffen und Kreieren hat kein

Geschlecht.

Aber die Schöpfung an und für sich ist eine weibliche Energie. Wie Mutter Erde, so ist auch das

Erschaffen von der Erde eine weibliche Energie. Die Idee, etwas aus dem Nichts zu erschaffen, ist

also eine weibliche Energie. Das hat aber nichts mit dem Geschlecht zu tun. Wir alle haben

männliche Züge. Wir alle haben weibliche Züge. Wir haben beides, weißt du, die Dualität dieser

beider Dinge macht es aus. Jedes Mal, wenn ich Musik mache oder etwas erschaffe, ist es so, als

würde ich diese weibliche Energie anzapfen. Das ist verdammt mächtig.


Hast du das Gefühl, dass bei der Entstehung dieses Albums viel weibliche Energie im Spiel

war, oder war es auch eine männliche, wütende, kraftvolle Energie?


Es war alles davon. Die ganze Bandbreite von Eifersucht, Wut, Bedauern, Akzeptanz, Frieden.

Schmerz, einfach alles. All diese Emotionen zu haben und dann mit anderen Leuten

zusammenzuarbeiten, die das aus mir herausholen, war so schön. Aber es war stark weiblich

beeinflusst, da die Produzentin eine Frau war. Du weißt, dass ich mit einigen meiner Lieblings-

Songwriterinnen wie Madison Love und Mary Whites und Julia Michaels zusammenarbeiten

konnte. Ich bin so glücklich, dass ich mit so verdammt starken Frauen mit so starken

Perspektiven arbeiten kann.


credits: Sebastian Faena


Bei welchem Song des neuen Albums fühlst du dich am selbstbewusstesten beim Singen,

Schreiben oder Performen?


Ich habe einen Song auf meinem Album, der heißt „Crush“, und ich freue mich sehr darauf, ihn

zum ersten Mal live zu spielen. Weil er wirklich so geladen ist. Es geht um den schmalen Grat

zwischen Schmerz und Vergnügen. Es ist so eine Art Verkörperung von so vielen Emotionen und

bringt Gefühle von alten Beziehungen hoch, während es auch eine Art Versöhnung mit deinen

alten Gewohnheiten ist. Und der ist sexy, es ist ein sexy Song, da kann ich kaum erwarten, den für

die Leute zu spielen.


Magst du einige wichtige Momente oder Erfahrungen teilen, die dazu beigetragen haben,

dass du eine selbstbewusste und unabhängige Frau in der Musikindustrie geworden bist?


Abgelehnt zu werden, Nein gesagt zu bekommen, einen neuen Weg finden zu müssen. Man sitzt

mit diesem Gefühl der Ablehnung da. Das bringt so etwas wie eine kleine innere Kinderwunde

hervor, dass man denkt: Oh, ich bin hier nicht erwünscht.

Nein gesagt zu bekommen und dann einen neuen Weg und eine neue Richtung finden zu müssen,

was am Ende tatsächlich immer die richtige ist. Denn dann ist es eine Gelegenheit, die wirklich für

dich bestimmt ist. Es entsteht ein Gefühl von Selbstvertrauen, das mit der Zeit immer stärker wird.

So dass du sagst: "Okay, das war nichts für mich. Das hat nicht geklappt. Okay, ich lenke um“.

Scheitern ist essentiell.


Gab es einen bestimmten Punkt, an dem du dir die Erlaubnis gegeben hast, du selbst zu

sein?


Es gab einen Moment, der mir am meisten zu denken gab, als ich anfing, Musik zu veröffentlichen

und ein Musikvideo zu dem Song „Wasted Youth“ herausbrachte, in dem ich mich in meine

damalige Freundin verliebte. Es war einfach eine Geschichte über queere Liebe in einer so

feierlichen, unbeschwerten, nostalgischen, freudigen Art und Weise, dass ich so viel Angst hatte,sie zu veröffentlichen. Ich hatte wirklich Angst davor, wie die Reaktionen sein würden, was die Leute sagen würden. Familie, Freunde, all das. Ich hatte einfach so viel Angst. Aber ich hatte

dieses tiefe innere Wissen, dass es etwas war, das ich teilen musste. Es war etwas, das ich

brauchte, ich musste mich darin befreien. Das ist für mich immer noch der stärkste Moment, in

dem ich mir die Erlaubnis gegeben habe, ich zu sein.


Oh, wie schön. Eine Freundin hat mir gestern erzählt, dass deine Musik und besonders das

Video zu Wasted Youth eine wichtige Sache für sie war als heranwachsende queere Frau.

Ich denke, es ist sehr wichtig, für sich selbst einzustehen, damit andere Leute sich darin

sehen können und verstehen, dass es okay ist, man selbst zu sein.


Wenn ich mir selbst die Erlaubnis gebe, ich selbst zu sein, bekommst du auch die Erlaubnis, du

selbst zu sein. Das ist ein Dominoeffekt.



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