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  • AutorenbildNatalie Voß

"dass Träumen das Einzige war, was uns übrig blieb"

Jules Ahoi im Flutwelle-Interview mit Natalie

Credits: Laura Most

Er ist Gitarrist, er ist Sänger, er lässt kein Auge trocken. Die Rede ist von Jules Ahoi, dem Spezialisten schlechthin, wenn es um melancholische Sounds geht. Jüngst kam sein neues Album Melancholic Dreamwave raus, und ich hatte im Vorfeld die Möglichkeit, ihm dahingehend einige Fragen zu stellen. Dabei hat er mir nicht nur einige Details zum Album verraten, sondern wir haben auch über die Definition von Melancholie gefachsimpelt und sind ein wenig ins Philosophieren gekommen.

Ich habe erstmal eine ganz einfache oder ganz schwierige Frage für dich: Wie geht’s dir? So kurz vor dem Albumrelease?


Hmmm. Ja, das ist eine schwierige Frage, würde ich eher sagen. Die meisten Leute beantworten die auch nicht richtig. Ich sag mal, mir ging‘s auf jeden Fall schon Mal besser. Nach den zwei Jahren, die hinter uns liegen. Ich freu mich allerdings auf das Album, weil es eine wahnsinnig intensive und langwierige Zeit abschließt. Ich kann da jetzt einfach einen Punkt setzen, was, denke ich, sehr wichtig ist.


Aber geht’s dann nicht erst richtig los? Also dann wird es dir doch erst richtig vor Augen geführt, weil du es dann die ganze Zeit spielen musst.


Naja, kommt drauf an, aus welcher Perspektive man das betrachtet. Für mich ist zumindest der Entstehungsprozess dann erstmal abgeschlossen. Was die Leute dann damit machen, liegt ja gar nicht mehr in meiner Macht. Ich darf die Songs dann spielen und werde da natürlich mit ihnen konfrontiert, aber die Emotionen und Gedanken, die ich in der Musik verarbeitet habe, die sind dann erstmal abgeschlossen. Ich lass das Baby dann hinaus in die Welt, quasi.


Ich durfte ja schon mal ins neue Album reinhören und hatte das Gefühl, dass es sich doch sehr von Dear____ unterscheidet. Es ist weniger in sich gekehrt, eher expressiv. Du arbeitest mit vielen neuen Soundelementen, bei Faith zum Beispiel das Klatschen, und auch die jeweiligen Lieder vermitteln unterschiedliche Stimmungen. Ist das jetzt mein subjektiver Eindruck, oder hast du das so intendiert?


Ich würde eher sagen, dass, wenn man sich alle Alben anhört, die ich bislang gemacht habe, es fast schon wieder ein Bogen zu den Anfängen ist. Ich habe mich ein wenig zurückbesonnen zu dem was meine Musik eigentlich ausmacht: Die Gitarre und die Stimme. Alles andere ist einfach drum herum gebaut. Das war beim letzten Album zum Beispiel ganz anders.


Und wie kam es zu diesem Umdenken, beziehungsweise dieser Rückbesinnung?


Das Album ist irgendwie in einem stringenten Bewusstseinsstrom verfasst. Ich habe mich nicht hingesetzt und die Texte wahnsinnig ausgearbeitet, sondern hab' einfach laufen lassen und geschrieben, was ich in dem Moment dachte. Das liegt daran, dass ich in dieser besonderen Zeit, die jetzt hoffentlich hinter uns liegt, dass Gefühl hatte, ich müsse die Welt, die durch mich fließt, irgendwie in Musik fassen. Damit ich sie unmittelbar festhalten kann und das alles für später konserviere.

Credits: Anna Engelsberg

Du meintest mal, dass deine Alben immer komplett unterschiedlich seien, weil sie halt in völlig unterschiedlichen Settings entstehen. Du hast ja gerade schon von so einer emotionalen Instabilität gesprochen, die das Album sehr geprägt hat. Aber in welchem konkreten Setting ist „Melancholic Dreamwave“ entstanden?


Das ganze Album habe ich in meiner kleinen Wohnung geschrieben und komponiert. Ich hatte so eine kleine Abstellkammer als Studio umfunktioniert und dann die ganze Platte dort aufgenommen. Das heißt, es ist alles in einem total geschützten Raum passiert. Das war für mich wahnsinnig intensiv und emotional. Man sitzt halt an keinem Arbeitsplatz mehr, fährt dann irgendwann nachhause und lässt die Arbeit dort. Ich konnte alles zuhause machen, weswegen ich eigentlich permanent Musik gemacht habe.


Also hat dich das Album quasi durch die Pandemie getragen?


Voll. Ich glaub, wenn ich das Album nicht gemacht hätte, wäre ich wirklich durchgedreht.


Okay, weil ich finde, dass der Albumtitel Melancholic Dreamwave halt schon etwas - oh Wunder- Träumerisches vermittelt. Und das obwohl das Album in so einer düsteren Zeit entstanden ist, in der man es ja nicht mal mehr gewagt hat zu träumen. Wie bist du da auf den Titel gekommen?


Weil ich, ganz im Gegensatz zu dem, was du sagst, glaube, dass Träumen das Einzige war, was uns übrig blieb. Zumindest kam es mir so vor. Alles was ich vorhatte, wurde total krass über den Haufen geworfen, ohne dass ein Ende in Sicht war. Ich glaube, ich habe mich da viel eher in Träumen verworren.


Würdest du sagen, dass das Melancholie ist, dieses Träumerische?


Ja, schon irgendwo. Wobei Melancholie noch vielschichtiger ist, als nur zu träumen. Ich glaube, dass man Melancholie nicht steuern kann, sie trifft einen, und dann ist man plötzlich in einem Zustand, den man nicht beeinflussen kann.


Kannst du mir das vielleicht noch etwas genauer erklären?


Ich würde Melancholie, glaub ich, mit einer Wolkendecke personifizieren. Es gibt etwas, was irgendwie über dir schwebt, was du nicht beeinflussen kannst, und das auf dich drückt. Vielleicht erhaschst du ab und zu ein paar Lichtblicke, aber es bestimmt größtenteils dein Handeln. Und diese Wolke ist immer da, sie schwebt mit dir mit. Dann gibt es Momente, wo die Sonne total krass scheint, und die Wolkendecke für eine längere Zeit an die Seite schiebt. Aber auf lange Sicht gesehen, kommt sie immer wieder.


Aber kann man nicht auch melancholisch werden, weil man so überschwänglich glücklich ist? Gibt es nicht vollkommen verschiedene Arten von Melancholie? Ich finde zum Beispiel, dass deine Musik immer melancholisch ist, aber in verschiedenen Farbabstufungen, quasi. Oder würdest du das gar nicht sagen, dass jeder Track diesen melancholischen Vibe mit sich bringt?


Doch, jeder Track bringt diesen Vibe auf jeden Fall rüber. Ich kann eigentlich gar nicht anders. Ich habe seit vielen Jahren damit zu kämpfen, mit dieser Melancholie. Und ich habe auch das Gefühl, dass es in unserem Berufsfeld fast schon zum guten Ton gehört, eine Depression zu haben. Aber es ist halt eine wahnsinnig verkackte Krankheit. Und dieses melancholische kommt einfach aus mir raus. Es ist mein Wesen, meine Persönlichkeit. Und die Verarbeitung dunkler Gedanken in meiner Musik, ist für mich halt auch ein Stück weit Therapie.


Das kann ich gut verstehen. Ich finde es dann aber auch wiederrum verrückt zu sehen, wie Menschen in der Depression irgendwie eine Motivation finden. Die Motivation etwas zu schaffen. Sei es jetzt Musik, oder bildende Kunst, oder was auch immer. Und auch wenn es sich makaber anhört, ist diese Melancholie dann für deine Karriere nicht auch irgendwie was Gutes? Welche Musik würdest du denn machen, wenn du diese Tiefe nicht in dir hättest?


Auf jeden Fall, das bringt einen irgendwo voran, aber glaub mir, ich könnte sehr gut drauf verzichten. Musik ist da einfach das Ventil, und sie war immer schon da. Ich kann mich dadurch viel besser ausdrücken, weil es einfach mehr als Worte sind.


Und wie ist das zum Beispiel, wenn du auf einem richtig geilen Festival auftrittst. Die Stimmung ist gut, alles läuft wie am Schnürchen, und du bist einfach nur happy. Aber dann gehst du auf die Bühne und spielst diese Songs, die du in einer sehr düsteren Zeit geschrieben hast. Färbt das dann nicht jedes Mal auf dein Gemüt ab?


Die Frage beschäftigt mich tatsächlich selber auch schon wirklich lange. Denn ich bemerke oft, wenn ich Konzerte spiele, dass ich so throwback-mäßig wieder in der Situation bin, in der ich die Musik verfasst hab. Bei manchen Songs mehr, bei manchen weniger. Aber bei Songs, die ich schon super oft gespielt habe, merk ich wie die Erinnerung nach und nach verblasst und nur noch das Werk als solches dasteht.


Auch die positiven Erinnerungen, die du auf der Bühne gesammelt hast?


Genau, die zahlreichen Konzerte und Festivals, die ich gespielt habe, wo Leute zum Beispiel mitgesungen haben oder so. Aber bei ganz vielen Songs falle ich wirklich so Blitz-mäßig in diese Situation zurück und bin dann auch dementsprechend drauf. Aber die Reaktion des Publikums holt einen da oft wieder raus und gibt mir wahnsinnig viel Energie.


Wie sehen für dich denn jetzt die Wochen nach dem Albumrelease aus? Stehen viele Konzerte an oder schnappst du dir dein Board und fährst ans Meer?


Ich war tatsächlich gerade in Norwegen, zwar nicht surfen, aber es war wirklich großartig. Ich freue mich enorm auf die nächsten Wochen, auch wenn sie sehr intensiv werden. Im Herbst geht’s auf Tour, und es stehen noch ein paar Vorbereitungen an. Aber Freitag kommt erstmal das Album, da bin ich sehr gespannt.

Und dann war das Gespräch mit Jules schon vorbei. Als ich das Album nach dem Interview erneut gehört habe, ist mir nochmal klar geworden, dass Jules Tracks wirklich eine Reproduktion und ein Abbild seiner Gefühlswelt sind. Eine Welt, die er mit uns teilen möchte und die einen vielleicht auch zwangsläufig mit den eigenen Emotionen konfrontiert. Die Authentizität ist es, die das Ganze so nahbar macht. Mein ultimativer Tipp: Macht euch ´nen Tee, legt euch ins Bett und läutet mit Melacholic Dreamwave den Herbst ein.


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