Es ist Donnerstagabend in Berlin. Ich stehe in der Schlange vor dem Kreuzberger Privatclub und warte auf den Einlass für das Konzert von GRETA, Rebecca Lou und Brimheim. Während ich mir überlege, was mich heute Abend wohl so erwarten wird, gucke ich mich etwas genauer um. Wirklich auffallend, wie unterschiedlich die Leute hier sind. Etwas weiter vor mir in der Schlange steht ein Junge, vielleicht 16 Jahre alt, gekleidet in der Tracht eines berühmten Pariser Fußballvereines. Direkt dahinter zwei Personen mit bunt gefärbten Haaren und so dicken Lederjacken, dass ihnen sicherlich entsetzlich warm ist. Hinter mir ein Pärchen. Er in Polohemd, sie in Sommerkleid. Die Tatsache, dass dieser heterogene Haufen in keine der in den tiefen meines Kopfes schlechterdings noch verankerten Schubladen passen will, macht das ganze interessant. Immerhin besuchen wir hier alle dasselbe Konzert. Am Vormittag hatte ich die Möglichkeit die drei Künstlerinnen zu sprechen und sie nach allen Regeln der Kunst mit meinen Fragen zu belagern. Also, was sind das für Musikerinnen, die so ein breites Publikum anziehen?
Credits: Stefanie Schmid Rincon
Bei GRETA, Rebecca Lou und Brimheim handelt es sich um drei Solokünstlerinnen aus Dänemark. Sie sind alle beim selben Label unter Vertrag, was jedoch nicht das Einzige ist, was ihre Musik miteinander verbindet: „Es ist die Authentizität, die wir zu vermitteln versuchen. Da ist diese Frage nach Freiheit in jedem unserer jeweiligen Songs. Aber halt auf verschiedene Art und Weise“, erklärt mir Brimheim. Schnell fällt mir auf, dass die drei, entgegen meinem klischeebehafteten Vorurteil von konkurrenzgesinnten Solokünstler:innen, einen bemerkenswert liebevollen Umgang miteinander pflegen. Rebecca Lou schildert mir, dass alle drei sich bedingungslos unterstützten und sie gemeinsam durch dick und dünn gingen. „We are each others Cheerleaders“, fügt sie grinsend hinzu. Auf meine Frage, ob dies ein Einzelfall sei, antwortet Brimheim: „Frauen in der Branche sind bei uns keine einzelnen Satelliten mehr, die alleine irgendwo herumfliegen. Da ist nun dieser Konsens von: ‚Hey, lasst uns doch einfach im selben Team spielen.‘ Das ist wunderschön.“
Inzwischen habe ich den Privatclub betreten, mir ein Bier geholt und mich unters Publikum gemischt. Die Stimmung ist locker und offen, aber auch erwartungsvoll. Es dauert nicht lange und Rebecca Lou betritt die Bühne. Erste Töne erklingen aus den Boxen und die Show geht los. Erst vor Kurzem ist ihr neuer Song DEAMGRRRL erschienen, der in einem ziemlichen Kontrast zu ihren vorherigen Songs steht. Zuvor drehte es sich in Rebeccas Texten viel um schwere Themen und auch ihr Sound versprühte, trotz dem massiven Einsatz von E-Gitarren, immer einen Hauch von Melancholie. Doch das ist jetzt anders: „Ich habe viele Lieder in 2020 geschrieben. Da war ich ziemlich depressiv und lost. Aber als die dann rausgekommen sind, habe ich wieder mit dem Schreiben angefangen und ich hatte einfach so viel mehr Selbstbewusstsein in mir, was ich auch in meine Musik einfließen lassen wollte“, so Rebecca Lou. Und mit diesem neugewonnenen Selbstbewusstsein strahlt sie nun auf der Bühne des Privatclubs. Ihr Auftritt ist laut, dynamisch und geht definitiv in die Beine. Das Publikum springt durch die Gegend und strotzt nur so vor Euphorie. Alle hier haben gerade ein Lächeln auf den Lippen, auch ich. Es ist daher kaum verwunderlich, dass es sich anfühlt wie ein Wimpernschlag, und die Show der Dänin schon vorbei ist. Ein wenig wehmütig beobachte ich, wie sie die Bühne verlässt und ihre funkelnde Nieten-Jacke im Dunklen verschwindet.
Doch viel Zeit zur Trauer bleibt mir nicht. Brimheim betritt die Bühne. Die Stimmung ist sofort eine andere. Andächtig, fast schon ergriffen. Die Lieder, die sie gleich spielen wird, sind von ihrer aktuellen Platte Can‘t hate myself into a different shape. Ich fand den Titel relativ eindrucksvoll und habe sie gefragt, was es damit auf sich hat: „Zunächst hört er sich sehr düster und grau an. Der Satz setzt ja voraus, dass ich es versucht habe, mich in eine andere Shape zu hassen. Aber es ist halt gleichzeitig auch die Erkenntnis, dass es nicht möglich ist jemand anderes zu sein. Darin steckt wie ich finde sehr viel Hoffnung und Licht. Denn ich kann es so viel versuchen wie ich will, und noch so böse zu mir sein, es wird mich nicht ins Bessere verändern. Deswegen muss ich mich akzeptieren, wie ich bin.“ Doch nicht nur Akzeptanz, auch die Musik spiele auf ihrem Weg zur Selbstliebe eine große Rolle: „Ich brauche so einen kreativen Filter, um meine Probleme mit Distanz betrachten zu können. Die Musik ist dabei essenziell.“ Ich weiß nicht was es ist, aber Brimheims Auftritt macht was mit mir. Vielleicht sind es die Texte, vielleicht die Mollklänge, vielleicht auch die Art und Weise, wie sie sich fast schon marionettenartig auf der Bühne inszeniert. Was es auch sein mag, ich muss zugeben, ich bin berührt. Und obwohl die Atmosphäre jetzt so eine andere ist als gerade noch bei Rebecca Lou, werde ich mitgerissen. Doch nicht nur ich schein überzeugt worden zu sein: auf Brimheims letzten Töne folgt ein schallender Applaus. Sie lächelt und verschwindet ebenfalls im Dunkeln.
Credits: Stefanie Schmid Rincon
Nach einer kurzen Pause geht es weiter. Als nächstes wird GRETA auftreten und ich bin ziemlich gespannt. Die Sängerin kommt ursprünglich aus Deutschland, ist jedoch vor einigen Jahren nach Dänemark ausgewandert. In Ihren Liedern spielt sie immer wieder mit Sprache und singt dabei sowohl auf Englisch als auch auf Deutsch: „Als ich nach Dänemark gezogen bin, hatte ich das Gefühl, mich von Deutschland und meiner Sprache distanzieren zu müssen. Ich musste unabhängig herausrausfinden, wer ich bin. Aber irgendwann habe ich mich dann durch deutsche Lyrik wieder in die Sprache verliebt und mich dann da dementsprechend ausprobiert.“ Als ich sie Frage, auf welcher Sprache sie lieber sänge, überlegt sie kurz: „Ich mag den Kontrast. Im Englischen arbeite ich viel mit Bildern und Metaphern, das Deutsche kommt fast schon unüberlegt aus mir heraus. Beides hat seine Vorzüge.“ Ich persönlich finde, dass die Sprache in GRETAS Musik ohnehin nur den sekundären Bestandteil ihres Werkes darstellt. Das bemerke ich auch während des Auftrittes. Ich werde in eine Art Bann gezogen, indem mir gar nicht auffällt, ob sie jetzt Deutsch oder Englisch singt. Das Ganze hat was mystisches. Sie bewegt sich zur Musik, als würde sie mit ihr verschmelzen und es wirkt fast so, als sei sie gerade ganz woanders. Es ist nicht so, als ob sie nicht präsent wäre, vielmehr so, als ob sie sich mit samt ihrem Publikum auf eine Reise begäbe. Träumerisch, aber nicht verträumt. Ehe ich mich versehe, ist die Show vorbei und ich befinde mich wieder in der Gegenwart. Ein beeindruckender Abschluss.
Credits: Stefanie Schmid Rincon
Als ich den Privatclub verlasse, fühle ich mich beseelt. Es war nicht nur das Zusammenspiel von Musik und Performance, die den Abend so besonders gemacht haben. Es war vornehmlich das Gefühl, dass hier gerade ein Raum geschaffen wird, in dem man so sein darf, wie man nun mal ist. Ohne großartig zu überlegen. Während des Konzerts war man einfach. So intensiv habe ich das bisher bei keinem anderen Konzert wahrgenommen. Und vielleicht waren die Konzertbesucher:innen doch gar nicht so unterschiedlich, denk ich mir jetzt. Denn wir hatten alle was gemeinsam. Wir konnten einfach nur sein. Halt eben so, wie es die drei schon beschrieben hatten: Ganz man selbst, auf ganz unterschiedliche Arten und Weisen.
Comments